Hauptinhalt
Exkursion: Erinnerung an politische Gewalt in Berlin
Exkursion, Berlin, Mai 2022
Die Exkursion wurde von Susanne Buckley-Zistel und Sybille Frank, Professorin für der Stadtsoziologie am Institut für Soziologie der TU Darmstadt, durchgeführt. Insgesamt 23 Studierende aus Darmstadt und Marburg reisten vom 16. bis 19. Mai 2022 nach Berlin, um Orte politischer Gewalt aufzusuchen und Gespräche mit sich für die Erinnerung vor Ort engagierenden Personen zu führen. Der Schwerpunkt lag auf Orten der Erinnerung an (den Widerstand gegen) den Nationalsozialismus, die deutsch-deutsche Teilung und den Kolonialismus liegen, sowie auf aktuellen Protesten gegen Rassismus.
Politische Gewalt findet zumeist im öffentlichen Raum statt. Dies bedeutet, dass die Ausübung politischer Gewalt unweigerlich (öffentliche) Orte produziert, die sodann für die Ursachen und Praktiken der Gewaltausübung zu stehen beginnen. An sie heften sich auch die Erinnerungen von Opfern, Tätern, Unbeteiligten und ihren Nachkommen. Die Vielgestaltigkeit dieser Erinnerungen macht den konfliktreichen oder konsensuellen (Nicht-)Umgang mit diesen Orten zu einem Gegenstand ständiger machtvoller Neuaushandlungen und zu einer dauernden gesamtgesellschaftlichen Herausforderung. Das vieldiskutierte Konzept der multidirektionalen Erinnerung von Michael Rothberg (2021 [2009]) greift diese komplexen Herausforderungen auf. Im einem von Globalisierung, Dekolonialisierung und Digitalisierung geprägten Zeitalter werden die Erinnerungen verschiedenster von politischer Gewalt betroffener Gruppen an Orten zunehmend translokal und transnational verhandelt.
Die Exkursion zeichnete den schwierigen Umgang mit Orten politischer Gewalt am Beispiel Berlins nach und diskutierte, ob und wie das Konzept der multidirektionalen Erinnerung es leisten kann, unterschiedlichste Erinnerungen produktiv zusammenzubringen. Berlin, von 1871 bis 1945 Hauptstadt des Deutschen Reiches, seit 1990 Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland sowie, mit Blick auf Ost-Berlin, von 1949-1990 Hauptstadt der DDR, ist nicht nur eine Stadt von herausgehobener politischer Bedeutung, sondern auch Ort zahlreicher politischer Regime(wechsel) und Widerstandsbewegungen, die vielfach mit politischer Gewalt einhergingen. Zudem war und ist Berlin Brennpunkt zahlreicher Protestbewegungen, die vergessene und verdrängte aktuelle und vergangene Formen politischer Gewalt sowie daraus resultierende andauernde strukturelle Ungleichheiten anprangern und für eine andere Politik streiten. Berlin ist also eine Stadt, die es ermöglicht, nicht nur ganz unterschiedliche Orte politischer Gewalt zu betrachten, sondern auch der Macht der Erinnerung in der Gegenwart nachzuspüren.