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Interdisziplinäre Projekte der beteiligten Fachgebiete des MCAW:
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Die Entwicklung der Stadt Assos (Türkei) in der spätantiken und byzantinischen Zeit
Assos wurde auf seiner Troas-Reise von Apostel Paulos besucht, der von hier aus nach Lesbos übersetze. In den zeitgenössischen Quellen ist die Stadt ab dem 5. Jahrhundert als Bischofssitz belegt und wird von Georgios Pachymeres noch im 14. Jahrhundert als bedeutende Fluchtburg des Umlandes bis hin zum etwa 40 km entfernt liegenden Flusses Skamandros erwähnt. Für die Größe und Bedeutung der Stadt und ihrer Infrastruktur, das Alltagsleben und die Einbindung in ein überregionales Handelssystem gab es bislang keine weiteren Anhaltspunkte; das Stadtbild und ihre Ausstattung mit Kirchen, öffentlichen Gebäuden und Profanbauten blieb ungeklärt.
In einer ersten, von 2013-2018 von der DFG geförderten Untersuchungsphase wurde die Stadt innerhalb der antiken Stadtmauer untersucht. Ein durch großflächige Rodungsarbeiten 2014 und 2015 ermöglichter Survey erbrachte dabei den Nachweis einer vollkommenen Umstrukturierung der Stadt im ausgehenden 5. und 6. Jahrhundert sowie die Verlagerung des städtischen Zentrums von der antiken Agora auf eine darunterliegende Terrasse.
Zudem wurden einige repräsentative Einzelgebäude ausgegraben, die stellvertretend für die neue Stadtanlage sind, wie die bischöfliche (?) Audienzhalle, ein zu einer Kapelle umgebautes Tetrapylon, ein Lagergebäude auf der gleichen Terrasse, mehrere größere Wohnkomplexe sowie ein als Gasthaus (Xenodochion) genutzter Baukomplex am Westtor. Durch die Dokumentation der archäologischen Befunde sowie der Auswertung der in diesen Bereichen zu Tage gekommenen Funde kann, bislang ohne Vergleich für diese Zeitstufe, eine durchgängige Abfolge der Keramik und Kleinfunde erstellt werden, die die baugeschichtliche Untersuchung der Gebäude chronologisch und soziokulturell ergänzt. Nach diesen Untersuchungen war die neu angelegte frühbyzantinische Stadt bis in das ausgehende 7. Jahrhundert, vielleicht auch noch bis ins frühe 8. Jahrhundert bewohnt.
In einer zweiten, noch anstehenden Untersuchungsperiode soll nun in den kommenden Jahren die Verlagerung der mittelbyzantinischen Stadt hin zum nördlichen Berghang oder außerhalb der ummauerten Stadt erforscht werden. Die sog. Ayazmakirche in der antiken Nekropole nordwestlich der Stadt wurde im 11. Jahrhundert nochmals neu aufgebaut und mindestens bis in das erste Viertel des 12. Jahrhundert als Friedhofskirche genutzt. Wo liegen aber die Wohngebiete der mittelbyzantinischen Stadt? Anhaltspunkte geben Keramikfunde und Architekturreste im Tal südlich der Ayazmakirche und auf einer Anhöhe im südwestlich von dieser sowie im Bereich des heutigen türkischen Dorfes. Diese Hinterlassenschaften sollen durch einen intensiven außerstädtischen Survey mit begleitender Bauaufnahme dokumentiert werden. Ein weiteres Forschungsdesiderat in der Stadtentwicklungsgeschichte von Assos ist das Kastron auf der Akropolis, welches nachweislich bis ins 15. Jahrhundert genutzt wurde. Zu welchem Zeitpunkt aber die Burganlage mit seinen Türmen gebaut wurde, ist bislang noch nicht geklärt. Zudem ist die Nutzung des Kastrons weitgehend unbekannt. Wie ist die Erwähnung der Fluchtburg von Georgios Pachymeres zu deuten? War die Burg mit ihren beiden Terrassen vollständig mit Wohnhäusern und Hütten bedeckt? Wie waren die Häuser ausgestattet, mit welchem Lebensstandard ist zu rechnen? Wie war der Alltag im Kastron?
Mit den Untersuchungen zum byzantinischen Assos sollen die Transformationsprozesse von der gewachsenen spätantiken Stadtanlage bis zum mittelalterlichen Kastron nachvollzogen werden. Im Fokus stehen dabei die Umbrüche innerhalb der Siedlungsentwicklung und die damit verbundenen Umgestaltungen im Stadtbild und in der materiellen Kultur. Mit unseren Untersuchungen schaffen wir Einblicke in den Alltag einer byzantinischen Stadt, die aus Schriftquellen nicht erschlossen werden können.
Die für die Spätantike und frühbyzantinischen Zeit immer wieder diskutierten Veränderungsprozesse, die in der Frage „Niedergang oder Wandel“ gipfeln, können gerade unter diesen Bedingungen optimal untersucht werden, und bieten damit Impulse für die überregionale Stadtforschung in byzantinischer Zeit.
Weitere InformationenInhalt ausklappen Inhalt einklappen Spätantikes und byzantinisches Leben im Naturraum südliche Troas
Archäologische Feldbegehungen in den Landkreisen Ezine, Ayvacık und Bayramiç (Provinz Çanakkale / Türkei)
Wo und wie lebten die Menschen des 3. bis 15. Jahrhunderts n. Chr. in der Provinz? Bei diesem mit offizieller Genehmigung des türkischen Kultusministeriums durchgeführten Surveyprojekt werden die Hinterlassenschaften dieser Zeit in den Landkreisen Ezine, Bayramiç und Ayvacık (Regierungsbezirk Çanakkale / Türkei) untersucht. Hierzu werden alle auffindbaren städtischen und dörflichen Siedlungsstrukturen, dazu Straßen, Wege, Brücken und Häfen sowie wirtschaftliche Ressourcen (Steinbrüche und –bearbeitung, Hinweise auf Erz- oder Mineralabbau bzw. sonstige Indizien für wirtschaftliche Grundlagen von Siedlungen) durch Oberflächenbegehungen registriert und dokumentiert. Da das Untersuchungsgebiet mit 2832 km2 sehr groß ist und eine dichte Vegetation die Bodensichtbarkeit häufig stark erschwert, wurde eine Kombination zwischen extensiver und intensiver Begehung gewählt, die – nach den bisher erfolgten Ergebnissen zu urteilen – den größtmöglichen Erfolg verspricht. Interessanterweise umfasst das Gebiet die verschiedensten naturräumlichen Areale (Steil- und Flachküste, karges Hinterland bis hin zu Karstlandschaften, fruchtbare Ebenen, Flussläufe, Bergregionen), in denen ein differenziertes Siedlungsmuster erwartet werden kann.
Nach der bisherigen Forschungslage soll der Landstrich ab der Spätantike seine Bedeutung verloren haben. In den bekannten Karten zu überregionalen Verkehrsverbindungen liegt die Troas daher außerhalb der wichtigen Routen, die Verkehrsstraßen zu Land „schneiden“ die Troas mit der Verbindung Adramytteion - Kyzikos von den großen Handelsmetropolen ab. Selbst der wichtige Seeweg nach Konstantinopel soll nach landläufiger Meinung die Troas nicht berühren, da in den Rekonstruktionskarten die Inseln Lesbos südlich und Tenedos westlich von den Schiffen umfahren wurde, wodurch nicht einmal die Paulusstadt Alexandreia Troas einbezogen wird.
Die bisher erzielten Ergebnisse des Oberflächensurveys zeichnen ein vollkommen anderes Bild, das die Troas nun als engmaschig bebaut zeigt. Die Besiedlungsdichte übertraf offensichtlich selbst die heutige Zeit, da im Allgemeinen um ein modernes türkisches Dorf rund drei bis fünf byzantinische Niederlassungen gruppiert sind. So wurden seit Beginn des Surveys im Jahre 2006 in neun Kampagnen 214 Siedlungen und 49 Spolienplätze neu entdeckt und aufgenommen, hinzu kommen noch andere Fundplätze wie Steinbrüche, Erzlagerstätten, Mühlen und Straßen. Zudem liegen im Untersuchungsgebiet fünf Bischofsitze, darunter auch Assos, die erforscht werden, und einige befestigte Städte und Burgen, darunter auch das sog. Schatzhaus der Laskariden, Astryzion.
Die byzantinischen Ansiedlungen waren offensichtlich recht gut ausgestattet; die in oder bei den Fundstellen aufgefundene Bauplastik hatte häufig eine hauptstädtische Qualität. Nicht selten besaßen sogar kleine, abgelegene Dörfer Kontakte zu Konstantinopel, Griechenland oder sogar zu noch entfernteren Regionen, die anhand der Oberflächenfunde nachgewiesen werden können. Häufig können auch die wirtschaftlichen Grundlagen der Siedlungen erfasst werden, wie Hafenanlagen, Salz- oder Alaunabbaufelder, Steinbrüche oder Hinweise auf Erzabbau und –verarbeitung, Wein- und Olivenpressen sowie die Straßen, die die einzelnen Siedlungen miteinander verbanden.
Ziel des Surveys ist die flächendeckende Erfassung aller Hinterlassenschaften der Spätantike und byzantinischen Zeit, um so ein möglichst lückenloses Bild des Lebens in der Provinz außerhalb der bisher bekannten Quellen zu schaffen.
Weitere InformationenInhalt ausklappen Inhalt einklappen Wirtschaftliches Handeln bei Platon. Eine institutionenökonomische Analyse von Platons Idealstaatsvorstellungen
Eine außergewöhnliche Form interdisziplinärer Kooperation hat die Thyssen-Stiftung 2015-2016 gefördert (https://www.uni-marburg.de/fb10/klassphil/aktuelles/news/alias.2014-05-20.8295812147): Die Marburger Gräzistin Prof. Dr. Sabine Föllinger und die Marburger Mikroökonomin Prof. Dr. Evelyn Korn untersuchten in einem gemeinsamen Projekt „Wirtschaftliches Handeln bei Platon. Eine institutionenökonomische Analyse von Platons Idealstaatsvorstellungen“ Platons ökonomische Überlegungen systematisch neu vor dem Hintergrund aktueller volkswirtschaftlicher Theorie.
Der Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass die Art und Weise, wie Platon das wirtschaftliche Handeln des Einzelnen als Teil gesellschaftlichen Handelns in seinen Idealstaatskonzeptionen Politeia und Nomoi beschreibt und normiert, vergleichbar ist mit dem Ansatz der Institutionenökonomik. Denn die Institutionenökonomik untersucht die Frage, welche außerindividuellen Faktoren (‚Institutionen’) wie gesetzliche Regelungen, gesellschaftliche Normierungen und auch ethische Wertvorstellungen das Handeln des Einzelnen beeinflussen.
Das Projekt konnte damit der lange Zeit vorherrschenden Marginalisierung von Platons ökonomischen Vorstellungen begegnen. Es hat gezeigt, dass die Anforderungen, angesichts derer Platon seine Überlegungen zu wirtschaftlichem Handeln entwickelt, durchaus vergleichbar sind mit den Problemen, vor denen sich die moderne Ökonomie gestellt sieht. So geht es in beiden Fällen um die Frage, welche Regeln ein Regelgestalter unter der Vorgabe bestimmter Zielvorstellungen (‚Wohlstand’ / ‚soziale Gerechtigkeit’ / ‚Glück’) und ausgehend von der Annahme bestimmter Verhaltensmuster der Akteure entwirft.
Themen, die im Zentrum des Projektes standen, waren: Welches Menschenbild vertritt Platon, und wie kann dieses zum ökonomischen Referenzbild des homo oeconomicus und seinen Erweiterungen in Beziehung gesetzt werden? Welche Einzelregelungen entwirft Platon in seinen theoretischen Entwürfen, wie wirken diese gemeinsam? Auf welche Weise entspricht seine detailliert dargestellte Interaktion von innerer und äußerer Motivierung den Ansätzen der modernen institutionenökonomischen Analyse, die das Verhältnis von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellem Verhalten analysiert?
Die beiden Wissenschaftlerinnen haben das Projekt im Rahmen des Schwerpunktes „Antike Wirtschaft“ des ‚Marburger Centrum Antike Welt’ entwickelt, in dem unter anderem die Anwendung der Theorie der Neuen Institutionenökonomik auf die Forschungen zur antiken Wirtschaft eine Rolle spielteInhalt ausklappen Inhalt einklappen Aristoteles als Autor. Eine Analyse seines ‚epistemischen‘ Schreibens in der biologischen Schrift ‚De generatione animalium‘
Das Projekt der Marburger Gräzistik (Projektleiterin: Prof. Dr. Sabine Föllinger, Mitarbeiter: Thomas Busch) erforscht im Rahmen eines von der DFG geförderten Projektes Aristoteles´ Schrift ‚De generatione animalium (Über die Entstehung der Lebewesen).
Aristoteles (4. Jhdt. v. Chr.) gilt als Begründer der Biologie als eigener Disziplin mit wissenschaftlichem Anspruch. Er hat nicht nur umfangreiche zoologische Einzelforschung betrieben, sondern er hat auch versucht zu erklären, warum bestimmte allgemeine Phänomene der Biologie überhaupt auftreten. So ist seine Schrift „Über die Entstehung der Lebewesen“ der Erklärung von Zeugungs- und Vererbungsprozessen gewidmet. Diese waren – wir befinden uns in einer Zeit lange vor der Entdeckung der weiblichen Eizelle und den durch die moderne Genetik möglichen Erklärungsansätzen – Gegenstand lebhafter Diskussion verschiedener Wissenschaftler, zu denen auch die vorsokratischen Philosophen und die Autoren der Hippokratischen Schriften gehörten. In Auseinandersetzung mit diesen entwickelt Aristoteles einen groß angelegten und heute noch faszinierenden Theorieentwurf.
Doch trotz der wissenschaftlichen Bedeutung der Schrift ist sie bisher noch nicht detailliert untersucht worden. In diese Lücke stößt das gräzistische Projekt. Es widmet sich der genauen Analyse der von Aristoteles verwendeten Argumentationen und ihrer Verortung in der Aristotelischen Wissenschaftstheorie sowie ihren sprachlich-stilistischen Repräsentationen. Auffällig ist der heterogene Duktus der Schrift: Diskursive Partien wechseln sich ab mit deskriptiven Darstellungen. Kurze Skizzen stehen neben rhetorisch ausgefeilten Passagen. Einen Ausgangspunkt der Untersuchung bildet dabei der nicht geklärte literarische Status der Aristotelischen Pragmatien insgesamt: Die Forschung zu antiker Wissenschaftsprosa in den letzten Jahren hat deutlich gezeigt, daß sich die sogenannten Lehrschriften der Charakterisierung durch einfache Unterscheidungskategorien wie ‚literarisch vs. unliterarisch‘ oder ,Kunst- vs. Sachprosa‘ zu entziehen scheinen. Damit ist das Projekt Teil der international geführten Forschungsdebatte über die Entstehung der wissenschaftlichen Literatur in der griechischen Antike.
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