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Diktynna: kretische Göttin – griechische Nymphe?
Dissertationsprojekt: Adrian Kinzig M.A.
Die Zeit des Hellenismus und die darauffolgende römische Herrschaft bis zur Christianisierung kann als eine Art „Globalisierung“ des Mittelmeerraumes verstanden werden. Die griechische Welt wuchs immer weiter zusammen, der Austausch der politische und wirtschaftliche Austausch brachte einen gemeinsamen Kulturraum hervor, und auch die Religion wurde von dieser Entwicklung erfasst. Gottheiten und ihre Kulte wanderten durch den Mittelmeerraum, entstanden neu, verschmolzen miteinander oder verschwanden für immer.
Die Zeugnisse für diese Prozesse des Kulttransfers sind geographisch weit verstreut. Insbesondere bei lokalen, sog. kleineren Gottheiten sind sie zudem schwer nachzuweisen. Eine Ausnahme davon stellt die Naturgöttin Diktynna dar, die sich auf vielfältige Art in den Quellen präsentiert und die im Rahmen meiner Dissertation erstmals systematisch untersucht wird. Die Zeugnisse ihrer Verehrung sind disparat: in Kultinschriften ist sie eine mächtige Göttin, in der literarischen Tradition wird sie hingegen als Nymphe betrachtet. Sie gilt einerseits als typisch kretisch, andererseits finden sich Diktynna-Kulte im ganzen östlichen Mittelmeerraum und Geschichten über sie verbreiteten sich in der griechisch- und lateinischsprachigen Welt.
Die Frage meines Dissertationsvorhabens lautet daher: Wer ist Diktynna? Diese Frage soll jedoch nicht mit einer Biographie beantwortet werden, sondern die Entwicklung, Verbreitung und Rezeption der Göttin und ihres Kultes nachgezeichnet werden. Dabei werden die Spannung zwischen „regionalen“ und „panhellenischen“ Kult- und Gottesvorstellungen betrachtet, dahinterstehende Konzepte aufgezeigt und hinterfragt.
Der Kult der Diktynna entstand vermutlich auf Kreta zwischen den sog. „Dunklen Jahrhunderten“ und der Archaik unter luwischem und dorischem Einfluss. Er verbreitete sich in den darauf folgenden Jahrhunderten im Ägäisraum, wo die Göttin teils mit dem kretischen Zeus eine Einheit bildete, teils aber auch mit Artemis gleichgesetzt wurde. Insgesamt findet sich eine große Quellenvielfalt in Bezug auf die Göttin und ihren Kult: Erwähnung findet sie nicht nur in der antiken Komödie und Tragödie, sondern auch als Staatskult in Kommagene. Sie erscheint als Beiname der Isis in Ägypten und als Synonym für Diana sogar in Rom. Darüber blieb in Kreta immer ein bedeutender regionaler Kult bestehen, der durch seine Lage für den Handel und als Aufbewahrungsort für Verträge für die dortige Politik eine große Rolle spielte.
Ihre Vielfalt macht die Göttin Diktynna zu einem interessanten Forschungsobjekt. Sie und ihr Kult gehen dem Hellenismus nicht nur voraus, sondern werden durch das Zusammenwachsen der griechischen Welt von diesem geprägt und können als ein typisches Produkt desselben angesehen werden.
Die Quellen beruhen auf drei Säulen: Zum einen die literarische Tradition, in welcher meist der Name „Diktynna“ erläutert wird. Dann die archäologischen Quellen, von denen das Diktynnäum auf Kreta die wohl wichtigste darstellt, und schließlich die zahlreichen Inschriften, die aus vielen griechischen Zentren stammen, von Sparta über Athen bis nach Amyzon. Sie behandeln Schwüre, lokale Bräuche und Besitzvereinbarungen, geben Hinweise auf kalendarische Systeme und vor allem auf kretische Exilgemeinden.
In meinem Dissertationsprojekt „Diktynna: kretische Göttin – griechische Nymphe?“ untersuche ich konkret am Beispiel der Diktynna anhand literarischer, archäologischer und epigraphischer Quellen:
- Die historischen Wurzeln des kretischen Kults der Diktynna. Auf der Insel Kreta in begegneten sich während des Hellenismus die vielfältigen Kulturen des zentralen Mittelmeerraums, was eine Beobachtung von Synergien und Konflikten im Umgang mit den eigenen und fremden Kulten exemplarisch ermöglicht.
- Die Verbreitung des Kultes im antiken Mittelmeerraum. Die Präsentation des Kultes in den antiken Quellen unterscheidet sich regional, was eine Untersuchung der Verbreitungswege notwendig macht. Politische, wirtschaftliche und soziale Faktoren stehen bei der Betrachtung im Vordergrund.
- Die Organisation und Feste der diktynnischen Kulte. Was war den Kulten in den verschiedenen Städten gemein und wo finden sich regionale Unterschiede? In besonderer Weise sollen hieran auch die Herausforderungen, wie eine zersplitterte Quellenlandschaft und ein heterogener Forschungsstand, gezeigt werden, die sich bei der Beschäftigung mit sog. kleineren Kulten ergeben.
- Die Rolle der Insel Delos und des ptolemäischen Hofes bei der Rezeption des Diktynnabildes, Besonders der viel rezipierte Kallimachos (Call. Hym. 3) prägte das überlieferte Bild der Diktynna in der antiken Literatur (bes. Paus. 2,30,3 und Anton. lib. 40)). Hierbei soll auch der Frage nachgegangen werden, ob es eine „Dictynna“ des Cato gab (vgl. Cinna frag. 14) und welche Auswirkungen diese auf die literarische Rezeption der römischen Zeit hatte.
- Diktynnas Beziehung zu anderen Gottheiten der antiken Welt. Besonders prominent ist die Verbindung der Diktynna mit Britomartis, weil diese in der Literatur miteinander gleichgesetzt und mal als Nymphen, mal als Göttinnen angesprochen werden. Diese spezifische Verbindung lässt sich hingegen in archäologischen und epigraphischen Quellen nicht nachweisen. Andere Gleichsetzungen erfolgen mit Artemis, Isis und der aiginetischen Göttin Aphaia.
- Die Rolle des Kultes auf Kreta im römischen Reich. Straßensteine (bspw. AE 2004 01660, IC IV 333/334 oder SEG 23 581) belegen, dass das Vermögen des Kultes unter Hadrian und seinen Nachfolgern für den Ausbau der Straßen verwendet wurde, während der entsprechende Tempel auf der Halbinsel Tityros gleichzeitig ausgebaut wurde.