05.12.2019 Bilder-Dialog: Im Gespräch mit dem Atelier Goldstein
Bei der Abendveranstaltung „Bilder-Dialog“ am 28. November 2019 sprachen Christiane Cuticchio, Sven Fritz und die Künstlerin Perihan Arpacilar vom Atelier Goldstein mit Museumsdirektor Dr. Christoph Otterbeck und dem Publikum über die Frankfurter Institution und die Werke der Künstlerin. Seit 2001 entstehen im Atelier Goldstein hochqualitative Kunstwerke von Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigung, die mit großem Erfolg in zahlreichen Museen und Ausstellungshäusern gezeigt werden.
Anlass für den Besuch war die Präsentation von fünf großformatigen Holzschnitten von Perihan Arpacilar im Brunnensaal des Museums. Zu sehen sind die Porträts von fünf berühmten Persönlichkeiten: Andy Warhol, Joseph Beuys, Vincent van Gogh, Frida Kahlo und Salvador Dalí. Die Künstlerin erläuterte einige Hintergründe ihrer künstlerischen Tätigkeit. Durch die Gründung des Ateliers Goldstein fand sie Raum, Material und Zeit, um ihre Kunst zu fertigen. Das Gespräch in Marburg wurde gefördert von der Aktion Mensch und fand in Kooperation den Freunden des Museums für Kunst und Kulturgeschichte statt.
In der Begrüßung durch Dr. Christoph Otterbeck, den Museumsdirektor, wurden die Hintergründe der Zusammenarbeit beleuchtet. Anstoß gab der Freundeskreis des Museums, der die umfassende Zugänglichkeit im Museum programmatisch unterstützt und sich seit der Wiedereröffnung vor einem Jahr aktiv für Inklusionsprojekte einsetzt. Über die klassischen Aufgaben eines Fördervereins hinaus, liegt es den Museumsfreunden am Herzen, in Marburg „Inklusion im Museum“ Wirklichkeit werden zu lassen. Diese Absicht zeigt sich auch in einer Satzungsänderung, in deren Zweck-Paragraph seit 2018 der Gedanken des „Museums für Alle“ verankert ist. Es geht dabei um eine gesellschaftliche Öffnung und den Abbau von Barrieren und sozialen Schranken.
Dr. Bernd Conrads und Dr. Catharina Graepler von den Museumsfreunden bilden zusammen mit Dr. Otterbeck und Samira Idrisu eine initiative Gruppe Inklusion. Sie organisierten im vergangenen Jahr eine Fahrt des Vorstands der Museumsfreunde nach Frankfurt ins Atelier Goldstein. Begeistert von den dortigen Kunstwerken, entschloss sich der Verein anlässlich der Wiedereröffnung des Museums im Herbst 2018 eine Serie mit großformatigen Holzschnitten von Künstlerikonen mit dem Titel „Kult“ von Perihan Arpacilar zu kaufen. Scherzhaft bemerkt der Direktor Dr. Christoph Otterbeck: „Andy Warhol, Vincent van Gogh und Frida Kahlo direkt nebeneinander, welches Museum kann das schon bieten?“. Die Konterfeis der Künstlerinnen und Künstler sind bis Ende Februar 2020 im Brunnensaal des Museums zu sehen. Andy, Salvador, Frida, Vincent und Joseph, wie die Goldstein-Künstlerin sie betitelt.
Eingeladen zum Gespräch, berichtete die Gründerin der Ateliers, Christiane Cuticchio über die Anfänge Institution unter dem Dach der Frankfurter Lebenshilfe vor knapp 20 Jahren. So lud die Gründerin damals ganz unverbindlich Menschen mit Behinderungen zum gemeinsamen Zeichnen und Malen ein. Bereits zu Beginn kamen einige der talentiertesten Goldstein-Künstler/innen zusammen, die zum Teil noch heute im Atelier tätig sind. Inzwischen entstehen dort Kunstwerke, die weit über die hessischen Grenzen präsentiert werden. Mehr als einmal entwickelten sich ihre Ausstellungen und Aktionen zum „talk of the town“ und überzeugten mit ungewöhnlichen und herausragenden Kunstwerken. Die Unterstützung der Künstler/innen begreift Christiane Cuticchio nicht als soziale Arbeit, sondern als Dienstleistung, die geprägt ist vom Respekt für die Künstler/innen, mit je eigenem charakteristischen Stil.
Sven Fritz erläuterte, wie die überlebensgroßen Porträtdarstellungen entstanden. Es handelt sich um Handabzüge, die ohne Druckwalze und Druckwerkstatt anfertigt wurden. Dadurch wurden die Hochdrucke zu echten Unikaten. Zu sehen sind Personen, die „mehr durch ihren Look, als durch ihr Werk bekannt sind“. Diese Ikonen oder „Künstlermarken“, die einen Nimbus um ihre Person schufen, weckten das Interesse von Perihan Arpacilar. Auf Basis von Fotos der Künstler/innen und einer intensiven Beschäftigung mit ihnen, konzipierte sie die Holzschnitte. Auch der Zufall spielte bei der Herstellung der Drucke eine Rolle. So weist der blaue Mantel von Van Gogh durch kleine gelbe Punkte eine Art Sternenhimmel auf. Beabsichtigt sei die Verbindung zu Van Goghs bekanntesten Werk Sternennacht nicht, so Perihan Arpacilar. Erst beim manuellen Druck seien die „Sterne“ durch hängengebliebene Farbteilchen entstanden.
Zum Abschluss bewegten die Worte von Christiane Cuticchio und räumten mit einigen Vorurteilen auf, als sie erklärte: „Die Kunst, die bei uns entsteht, ist nicht intuitiv gefertigt, wie häufig angenommen. Bei sehr vielen unserer Künstler/innen wird Konzeption großgeschrieben!“ Mit ihrem Appell die bestehenden Dogmen über Künstler/innen mit Behinderungen zu vergessen und sich stattdessen mit den ganz unterschiedlichen, einzelnen Personen und ihrer Arbeit zu beschäftigen und diese kennenzulernen, endete der inspirierende Abend im Museum.