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Verloren – zerstört – wirkungslos?
Der Bildersturm und seine Folgen

Die hier gezeigten Marienfiguren weisen starke Beschädigungen auf, wofür es unterschiedliche Erklärungen geben könnte. Explizit sollen die Ursachen und Folgen des Bildersturms in Betracht gezogen werden, dem diese Werke möglicherweise zum Opfer gefallen sind.

Maria trägt das Jesuskind, welches in einen Mantel gehüllt ist, auf ihrem linken Arm. Sie trägt eine lange Robe und einen Schleier unter ihrer Krone, welche ihr langes Jahr bedeckt.
© Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Horst Fenchel
Maria mit Jesuskind, Wehrshausen (Marburg), Skulptur aus Lindenholz, 1523, 123 x 46 x 30 cm, Inventar-Nr. 2839.
Maria steht auf einem polygonalen Sockel und trägt das Jesuskind auf dem Arm. Auf ihrem Haupt trägt sie einen Kopfschleier, welcher mit einer Krone gehalten wird. Maria trägt ein langes Gewand, während das Kind lediglich mit einem Tuch über der Hüfte bekleidet ist.
© Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Horst Fenchel
Madonna mit Kind, Homberg (Bezirk Kassel), Skulptur aus rotem Sandstein, um 1375, 120 x 46 x 32 cm, Inventar-Nr. 2810.

Links/oben:
Maria mit Jesuskind, 1523, Skulptur aus Lindenholz, 123 x 46 x 30 cmInventar-Nr. 2839, Herkunft: Wehrshausen bei Marburg
Rechts/unten:
Madonna mit Kind, um 1375, Skulptur aus rotem Sandstein, 120 x 46 x 32 cm, Inventar-Nr. 2810, Herkunft: Homberg (Efze) 

Beide Marienfiguren halten das Jesuskind auf dem linken Arm. Sie tragen ein bodenlanges Gewand und einen Kopfschleier, welcher jeweils von einer Krone auf die Schultern herabfällt. Beide Jesuskinder sind mit einem leicht erscheinenden Stoff bekleidet. Die Statuen sind jeweils ca. 120 cm hoch und 46 cm breit und bestehen aus Lindenholz bzw. rotem Sandstein.

Zustand 
Beide Statuen weisen zahlreiche Schrammen und Fehlstellen an nahezu allen Körperteilen auf. Während die Krone der Maria aus rotem Sandstein nur noch schemenhaft zu erkennen ist, fehlen der Maria aus Lindenholz große Teile der Krone und des Schleiers. Die Kopfbedeckungen sind jedoch gut erhalten. Die rechten Hände der Marienfiguren sowie die Hände der Jesuskinder sind nicht mehr in ihrer einstigen Gestaltung vorhanden. Nur die jeweils linke Hand der Marien, die die Jesuskinder tragen, sind noch großenteils vorhanden. Alle in den Grundzügen noch erhaltenen Gesichter sind beschädigt.

  • Bildersturm in Marburg

    Die Streitfrage um die bildliche Darstellung Gottes und derjenigen, die seine Göttlichkeit auf Erden vertreten, hat seine Wurzeln im byzantinischen Bilderstreit des Frühmittelalters. Es bildeten sich zwei konträre Glaubensgruppen: die Ikonoklasten (Zerstörer von Heiligenbildern) und Inkonodulen (Verehrer von Heiligenbildern). 

    Der Bilderstreit wurde über die Jahrhunderte hinweg auch in Deutschland immer wieder neu angefacht. So kam es im Jahre 1605 unter der Herrschaft des Landgrafen Moritz zu einer sogenannten zweiten Reformation in Marburg, nachdem sein Großvater Philipp I. von Hessen bereits seit 1526 für den Protestantismus eingetreten war. Landgraf Moritz, welcher zum Calvinismus (Glaubenslehre, welche sich an Ideen und Werken von Johannes Calvin orientiert) übergetreten war, wollte in seinem Territorium diesen Zweig des Protestantismus flächendeckend durchsetzen. Er verkündete drei auf den Calvinismus aufbauende Verbesserungsvorschläge, welche sich mit dem christlichen Zusammenleben beschäftigten. Einer dieser Punkte verwies auf den ursprünglichen Wortlaut der Zehn Gebote, durch welchen es verboten ist, sich ein Bildnis von Gott zu machen. Die Pfarreien des von ihm regierten Landes wurden dazu angehalten, Heiligenfiguren und -darstellungen aus den Kirchen zu entfernen.

    Neben Ausstattungstücken der Kirchen fielen auch private Andachtsbilder dem Bildersturm zum Opfer. Es ist möglich, dass in diesem Zusammenhang auch die hier präsentierten Madonnen eine mutwillige Zerstörung erfuhren. Historischen Schriftquellen nach gibt es zahlreiche Anschläge auf Marienfiguren, bei denen Körperteile oder Schmuckstücke abgetrennt oder unkenntlich gemacht wurden. Sakrale Holzfiguren wurden sogar verbrannt.

Geraubte Wirkung

Die mutwillige Zerstörung der Gesichter und Hände sollte dazu führen, den Figuren ihre Wirkung zu rauben. Nachfolgend finden Sie weiterführende Informationen bezüglich der Fehlstellen dieser Marienfiguren, welche abgesehen von den Zerstörungen im Zusammenhang des Bildersturms auch durch Transporte und Unachtsamkeiten entstanden sein könnten.

  • Gesicht der Maria

    © Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Horst Fenchel
    © Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Horst Fenchel

    Die Beschädigung oder gar Unkenntlichmachung des Gesichts der Maria sollte wie auch das Abtrennen der Hände die Funktion als Andachtsbild außer Kraft setzten. Der Grund für diesen Akt der Kulturzerstörung liegt in der Durchsetzung des Zweiten Gebots, welches auch die Verbildlichung Marias betraf. In der Bibel heißt es: Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. (2. Mose 20, 4)

    Die hier ausgewählten Madonnen aus der Sammlung des Landgrafenschlosses verzeichnen deutliche Schäden an ihren Gesichtern und der gesamten Kopfpartie. Neben dem Gesicht der Maria aus rotem Sandstein ist die ursprünglich vorhandene Krone nur noch umrisshaft zu erkennen, während der hölzernen Maria ein großes Stück des Kopfes fehlt.

  • Kopf des Jesuskinds

    © Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Horst Fenchel

    Auch beim Abschlagen des Kopfes vom Jesuskind kann das Zweite Gebot als Grund in Frage kommen (siehe Abschnitt „Gesicht der Maria"). Da Jesus Gottes Sohn ist und mit ihm die Göttlichkeit auf Erden präsent wurde, geriet auch sein Abbild ins Visier radikaler Ikonoklasten, die Gott ehren, aber nicht abbilden wollten, obwohl Jesus und Maria auch physisch existierende Menschen auf Erden waren.

    Das Fehlen des Kopfes hat eine besonders starke Wirkung. Im Zusammenhang mit den nicht vorhandenen Händen bleibt die Skulptur aus rotem Sandstein als Torso mit Armen zurück, welcher nur aufgrund der Ikonographie dieses Typus (des Zusammenhangs mit der Marienfigur) als Jesuskind interpretiert werden kann.

  • Hände

    © Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Horst Fenchel
    © Foto: Bildarchiv - Foto Marburg, Horst Fenchel

    Bei der Annahme des gezielten Abtrennens der Körperteile sollte das Fehlen der Hände die dadurch erzeugte Handlungsunfähigkeit der Figuren verdeutlichen. Man nahm den Figuren auf diese Weise ihre Wirkung.

    Den beiden hier gezeigten Darstellungen von Maria und dem Jesuskind fehlen die Hände. Lediglich die Hand Marias, die das Kind hält, ist noch vorhanden, jedoch wirken die Finger ebenfalls beschädigt. Dass diese Hand nicht abgetrennt wurde, könnte dem Aufbau der Skulptur geschuldet sein, da die Hände nicht frei in den Raum reichen und damit auch nicht bruchgefährdet sind.
    Aufgrund des Materials ist bei der Sandsteinskulptur auch ein starker allgemeiner Verwitterungsprozess nicht auszuschließen.