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Alix Eisner, Annita Huber, Erna Esther Lebegott, Betty Spier, Hermann Jacobsohn, Wilhelm Röpke
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Alix Eisner; Annita Huber; Erna Esther Lebegott; Betty Spier: Emigration und entzogene Titel
Diese vier Frauen stehen stellvertretend für insgesamt vier Frauen und 42 Männer, die nach bisherigem Forschungsstand zwischen 1933 und 1945 ihren Doktortitel unrechtmäßig entzogen bekommen haben. Die vier genannten Frauen und 29 Männer waren nach nationalsozialistischem Sprachgebrauch jüdischer Abstammung. Allerdings ist von einer höheren Zahl jüdischer Promovierter auszugehen, da nur diejenigen eine ausdrückliche Aberkennung ihres Doktortitel erhielten, die emigriert waren.
Alice Eisner, geboren am 17. Juni 1892, war Juristin und promovierte 1916 über die „Umwandlung von Gesellschaftsformen“. 1917 ist sie im Vorstand des deutschen Juristinnenvereins zu finden und wohnte in Berlin. 1933 wurde sie aufgrund ihrer Abstammung aus dem Berliner Rechtsanwaltsverzeichnis entfernt. Wohin sie emigrierte, ist bisher unklar, am 12. Oktober 1938 wurde ihr der Doktortitel entzogen.
Annita Huber, geboren am 10. Juni 1907, promovierte 1938 in der Augenheilkunde zu „Über den Fall von cavernösem Angiom der Orbita, der Bindehaut und beider Lider". Im November 1944 wurde ihr der Doktortitel entzogen. Nach der Emigration nach Frankreich lebte sie 1960 in den USA.
Die am 1.November 1890 in Bischofsburg geborene Erna Esther Lebegott promovierte 1921 zu „Musset und Marivaux“, zwei französischen Schriftstellern. Ihr Doktortitel wurde im August 1939 entzogen. Weiteres war bisher nicht bekannt. Nach Freischaltung des Portals meldete sich eine mit ihr befreundete Familie, die über den weiteren Weg von Erna Esther Lebegott Auskunft geben konnte. Danach lebten sowohl Erna Esther Lebegott als auch ihre Schwester Eva in Frankreich. Ihre Schwester ging eine (Schein)Ehe mit einem Franzosen ein, um nicht als deutsche Jüdin erkannt zu werden. Erna Esther überlebte den Nationalsozialismus und pflegte nach dem Zweiten Weltkrieg enge Kontakte nach Deutschland.
Die Medizinerin Betty Spier wurde am 14. August 1903 geboren und studierte von 1924 bis 1929 in Marburg Medizin. 1930 promovierte sie sich mit einer Arbeit zu „ Über die Fleckmilz und ihre Beziehung zur Arteriosklerose“. 1936 emigrierte sie nach England und praktizierte nach ihrer Heirat unter dem Namen Dyson als Landärztin. 1941 wurde ihr Doktortitel entzogen. Zu Betty Spier s. auch den nachfolgenden Artikel.
Vertiefung: Lemberg, Margret: „…eines deutschen akademischen Grades unwürdig" : die Entziehung des Doktortitels an der Philipps-Universität Marburg 1933 - 1945, Marburg 2002.
Zu Betty Spier: : Friedrich, Klaus-Peter: Zur Auswanderung gezwungen: Jakob Spier aus Marburg, in: Von der Ausgrenzung zur Deportation in Marburg und im Landkreis Marburg-Biedenkopf, Marburg 2017, S.331 – 337.
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Dr. med. Betty Spier
Betty Spier wurde am 14. August 1903 in Gemünden an der Wohra, Kreis Frankenberg, geboren. Nach dem Abitur 1924 studierte sie Medizin in Marburg, wo sie nach Aufenthalten an den Universitäten Freiburg, München und Wien 1929 ihr Examen ablegte. Dort promovierte sie 1930 auch „Über die Fleckmilz und ihre Beziehung zur Arteriosklerose“. Ebenfalls 1930 erhielt sie ihre Approbation als Ärztin. Nach einer Tätigkeit als Assistenzärztin am Städtischen Krankenhaus in Naumburg/Saale ließ sie sich 1933 in Gemünden als Ärztin mit eigener Praxis nieder. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft erhielt sie keine Krankenkassenzulassung und durfte nur jüdische Privatpersonen behandeln. Infolge dessen war ihre Praxis wenig ertragreich. Spier musste sie 1936 wieder schließen. In Deutschland durfte sie nicht mehr als Ärztin praktizieren und emigrierte noch im selben Jahr nach Edinburgh, Schottland. Dort musste sie jedoch erneut studieren, um als Ärztin arbeiten zu können. Phasen der Anstellung wechselten sich mit Phasen der Arbeitslosigkeit ab. Mehrmals musste sie - inzwischen in England lebend - aufgrund von Aufenthaltsbestimmungen die Stelle wechseln und umziehen. Zudem verdiente sie weniger als ihre britischen Kolleg*innen. 1939 flohen auch ihre Eltern zu ihr nach England. Im Juni 1941wurde Betty Spier die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und die Universität Marburg entzog ihr den Doktortitel. Grundlage dafür war das Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der Deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933. Danach konnte die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt werden, wenn die Betroffenen „durch ein Verhalten, das gegen die Pflicht und Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt haben“. Im Juli 1948 konnte Betty Spier eine eigene Praxis in Colne, England, eröffnen. Sie heiratete 1955, hieß fortan Betty Dyson und besaß nun die britische Staatsbürgerschaft. Im selben Jahr stellte sie einen Antrag auf Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, dem 1957 stattgegeben wurde. Ihr wurde „Schaden im beruflichen Fortkommen in selbständiger Erwerbstätigkeit“ zuerkannt, da sie vom 1. Januar 1934 bis zum 30. Juni 1948 aufgrund der nationalsozialistischen Boykottmaßnahmen keine Krankenkassenzulassung hatte.
1965 erhielt sie nach einer Entscheidung des Marburger Universitätssenats ihren Doktortitel zurück. Ihr weiterer Lebensweg ist unbekannt. Auch zu ihrem Tod können keine genauen Angaben gemacht werden. Eine Vermutung ist, dass sie im April 1994 in West Yorkshire starb. (Anastasia Zoubarev)
Vertiefung: Dieser Text ist ein Ergebnis der Beschäftigung mit Betty Spier im Rahmen der Lehrveranstaltung "Frauen im Nationalsozialismus" im SoSe 2024 von Randi Becker. Dazu wird 2025 eine Ausstellung mit zugehörigem Textband gezeigt. Weitere Vertiefung: Friedrich, Klaus-Peter: Zur Auswanderung gezwungen: Jakob Spier aus Marburg, in: ders. (Hrsg.): Von der Ausgrenzung zur Deportation in Marburg und im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Marburg 2017, S. 331-336. Lemberg, Margret: „… eines deutschen akademischen Grades unwürdig“: Die Entziehung des Doktortitels an der Philipps-Universität Marburg 1933-1945, Marburg 2002. Opper-Fiedler, Uta: Familien Spier, in: Erinnerungen an die jüdischen Familien in Gemünden und Grüsen, Frankenberg 2023.
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Hermann Jacobsohn: Entlassung und Suizid
Der Altphilologe und Universitätsprofessor Hermann Jacobsohn wurde am 30.8.1879 in Lüneburg geboren. Er studierte in Freiburg, Berlin und Göttingen, habilitierte sich in München und trat 1911 die Stelle als Professor für Vergleichende Sprachwissenschaften in Marburg an. 1929 übernahm er die Leitung des "Deutschen Sprachatlasses". Am 25.4.1933 wurde Jacobsohn auf Grund der Bestimmungen des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" entlassen. Mit diesem war vorgesehen, Juden, sofern sie nicht bereits vor 1914 Beamte oder im 1. Weltkrieg gewesen waren, vom Staatsdienst auszuschließen. Ebenfalls sah es die Entlassung von, „Beamte(n), die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“ vor. Da Jacobsohn bereits vor 1914 im Staatsdienst tätig war, konnte er rein formal nicht als Jude suspendiert werden. Vielmehr verlor er als Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) seine Stellung 1933 aus politischen Gründen. Nach dem Tag seiner Entlassung nahm sich Jacobsohn am 27.04.1933 das Leben. Von offizieller Seite gab es keine Trauerbekundung der Philipps-Universität Marburg. 1999 wurde, um ihn zu ehren, die Adresse des Forschungszentrums Deutscher Sprachatlas am Kaffweg in Hermann-Jacobsohn-Weg umbenannt.
Vertiefung: Maier, Metz, Harald: Hermann Jacobsohn. Sein Leben, in: Germanistik und Kunstwissenschaften im "Dritten Reich" : Marburger Entwicklungen 1920 – 1950, München 2005, S.143 - 153;
Nagel, Anne Christine: Die Philipps-Universität Marburg im Nationalsozialismus, Stuttgart 2000. S. 44 -45.
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Wilhelm Röpke: Entlassung und Exil in Istanbul und Genf
Der Volkswirtschaftler Wilhelm Röpke, geboren am 10. Oktober 1899, studierte in Göttingen, Tübingen und Marburg Rechts- und Staatswissenschaften. 1921 promovierte, 1922 habilitierte er sich an der Universität Marburg und kehrte nach Stationen in Jena und Graz 1929 als ordentlicher Professor nach Marburg zurück. Bereits 1933 wurde er nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ zwangsweise in den Ruhestand versetzt. U.a. der Kreisleiter der NSDAP, Hans Krawielitzki, denunzierte Röpke als Demokrat und forderte seine „Abberufung“. Röpke emigrierte 1933 nach Istanbul, anschließend ab 1937 nach Genf, wo er 1966 starb. Sie können sich in seinen Lebenslauf als „Demokratischer Republikaner und liberaler Wissenschaftler. Die Marburger Jahre des Nationalökonomen Wilhelm Röpke" auch in einem Podcast von Prof. Eckart Conze anhören.
Vertiefung: Conze, Eckart; Kleinschmidt, Christian und Schulte, Elisabeth: Wilhelm Röpke : Wissenschaftler und Homo politicus zwischen Marburg, Exil und Nachkriegszeit, Marburg 2017.