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Teilprojekt A07
Zwischen Minderheitenschutz und Versicherheitlichung. Die Herausbildung der Roma-Minderheit in der modernen europäischen Geschichte
1. Förderphase (2014-2017)
Das Teilprojekt untersucht das Verhältnis zwischen Minorisierung und Versicherheitlichung / Entsicherheitlichung am Beispiel der Herausbildung der Roma-Minderheit in der jüngeren europäischen Geschichte (von den 1970er Jahren bis in die Gegenwart). Während des Kalten Krieges wurden Roma-Minderheiten in Europa oft als ein soziales Problem begriffen, das durch eine Zurückdrängung des „Nomadentums“ und eine Förderung der Assimilation primär sicherheitspolitisch zu behandeln sei. Seit dem Fall des Kommunismus und der Erweiterung der Europäischen Union jedoch wurden die Roma zunehmend als eine europäische Minderheit dargestellt und auf einen Hintergrund von Menschen- und Minderheitenrechten, Einbeziehung und Ermächtigung bezogen. Die Europäisierung des Minderheitenstatus der Roma schließlich hat dazu geführt, in westeuropäischen Ländern wie Italien, Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden Roma-Migranten aus den neuen EU-Mitgliedstaaten als öffentliches Sicherheitsrisiko zu problematisieren.
Im Rahmen des Teilprojekts werden die Praktiken der Versicherheitlichung und Entsicherheitlichung seit den 1970er Jahren aus der Perspektive sich sukzessive wandelnder oder überlappender Prozesse der Minderheitenbildung bzw. dessen, was als „Minorisierung“ bezeichnet werden kann, untersucht. Wie verhalten sich die historisch variablen Minorisierungsprozesse, die von der Konzeptualisierung der Roma unter den Vorzeichen Assimilation und „Nomadentum“ bis zur Konzeptualisierung unter den Vorzeichen Menschenrechte, soziale Einbeziehung und europäischer Minderheitenstatus reichen? Und wie verhalten sich diese historisch variablen Minorisierungsprozesse zum Entstehen neuer Praktiken der Versicherheitlichung und Entsicherheitlichung?
Das Projekt lotet anhand empirischer Untersuchungen über den Rechtsdiskurs, den kulturellen Diskurs sowie Alltagspraktiken der Ver- und Entsicherheitlichung über die Roma in Europa das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit aus und lässt Rückschlüsse auf mögliche alternative Praktiken der „Entsicherheitlichung“ zu. Zudem führt das Projekt Einsichten aus der Governementalität-Theorie und der kritischen Sicherheitsuntersuchung zusammen, um eine neue Sicht zu erlauben, die Auskunft gibt, wie Prozesse der Minorisierung und der (Ent-)Sicherheitlichung miteinander verbunden sind und wie neue Wege der Entsicherheitlichung entwickelt werden können.
Im Teilprojekt untersuchen wir den Komplex von Versicherheitlichung und Entsicherheitlichung aus einer Neo-Foucault’schen Gouvernementalitätsperspektive, um herauszufinden, wie die graduelle Entwicklung diverser (neo-)liberaler Freiheitskonzepte und ‑praktiken seit den 1970er Jahren mit einer doppelten Dynamik zusammengegangen ist. Im Zentrum stehen dabei die Maßnahmen westeuropäischer Gesellschaften, die Roma-Minderheiten aufgenommen haben und noch aufnehmen. Auf der einen Seite richten wir unser Augenmerk darauf, wie die Mechanismen der Versicherheitlichung und Entpolitisierung manche Teile einer Bevölkerung (etwa die Roma) minorisieren und zugleich andere „majorisieren“. Auf der anderen Seite konzentrieren wir uns auf parallele Formen des Selbstausdrucks einer Minderheit und auf die Frage, wie diese die Bevölkerungskontrolle und ihre Grenzen in Frage stellen und politisieren. Besonders an dieser Stelle ist zu erwarten, dass die bereits durch transnationale Roma-Aktivitäten thematisierten früheren Formen der Exklusion (Holocaust), aber auch gegenwärtige sozioökonomische sowie politische Gründe, die zur westwärts gerichteten Migration führen, ebenso zur Sprache kommen werden wie der Umgang mit EU- und anderen internationalen Regelungen mit Bezug auf die Roma.
Indem den Wechselwirkungen zwischen der Minorisierung und der Selbstartikulation von Minderheiten nachgegangen wird, fragt das Projekt danach, wie Praktiken der Entsicherheitlichung alternativ verstanden und ethnographisch analysiert werden können. Alternative Strategien der Entsicherheitlichung werden womöglich gerade jenseits einer eindimensionalen Betrachtung eines Minderheiten-Sicherheitsproblems liegen. Und indem sich das Vorhaben theoretisch und empirisch auf die Notwendigkeit konzentriert, das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit zu justieren, statt ein versicherheitlichtes Themenfeld aus dem Diskurs der ersteren in den der letzteren zu überführen, gilt seine besondere Aufmerksamkeit den ineinandergreifenden Konstruktionen der politischen Gemeinschaft im heutigen Europa sowie der Art und Weise, wie diese die Roma einbeziehen oder ausschließen.
Die konkrete Analyse umfasst drei Themenkomplexe, die miteinander zusammenhängende Dimensionen des Gesamtprojekts beleuchten. Während die Themenkomplexe A (Menschenrechte und Versicherheitlichung) und B (Minorisierung und Versicherheitlichung/ Entsicherheitlichung der Roma) sich hauptsächlich mit Analysen sich verändernder und neuformulierter diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken von Menschenrechtsexperten, Aktivisten und Sicherheits- und Entwicklungsexperten von den 1970er Jahren bis heute befassen, konzentriert sich der Themenkomplex C (Ent- und Repolitisierung) darauf, ob und inwieweit eine Analyse des Nexus zwischen Freiheit und Sicherheit und der Beziehung zwischen Prozessen der Entpolitisierung und Repolitisierung neues Licht auf Praktiken der Entsicherheitlichung wirft.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Mitarbeitende
Teilprojektleitung
Prof. Dr. Regina Kreide
Wissenschaftliche Mitarbeitende
Dr. Huub van Baar
Dr. Ana Ivasiuc