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Teilprojekt C07
Sicherheit als Siebter Sinn

1. Förderphase (2014-2017)

Die legendäre Fernsehsendung Der 7. Sinn zielte mit subtiler bis drastischer Pädagogik auf eine Verankerung „verkehrsgerechten“ Verhaltens im Unterbewussten der Gesellschaft. Das Teilprojekt will historisch nachverfolgen, wie im öffentlichen Verkehrsraum Sicherheit dargestellt und herzustellen versucht wurde. Im Zentrum steht dabei eine Längsschnitt-Untersuchung der Wandlungen deutscher Verkehrserziehung und der damit verbundenen verkehrssicherheitlichen Wissensordnungen und -praktiken, ergänzt um kulturhistorische Perspektivierungen des Straßenraums.

Der Straßenverkehr wird dabei als ein Feld der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung wie des politischen Bemühens verstanden, in einer plurizentrisch und zirkulativ organisierten Gesellschaft die Suggestion kollektiver Sicherheit herzustellen, indem über kommunikative Prozesse und institutionalisierte Verfahren Regelvertrauen, Erwartungssicherheit sowie ein basales Sekuritätsempfinden ausgebildet werden. Versicherheitlichung durch Verkehrserziehung ist hier im Sinne des „lebenslangen Lernens“ als ein fortlaufender und potentiell nicht abschließbarer Prozess zu verstehen, der nicht nur theoretisches Wissen (physikalischer und technischer Art, Ursache-Wirkungs-Geflechte usw.) umfasst, sondern auch als das Erlernen eines spezifisch angepassten Verhaltens, das im Idealfall routinisiert und gleichsam intuitiv abgerufen werden kann. Jedes „Versagen“ dieser „überlebensnotwendigen“ Automatismen kann zum Ansporn neuer Wissensproduktion bzw. Verhaltenssteuerung werden.

Untersucht werden sollen daher zum einen Prozesse der Professionalisierung der Verkehrserziehung (hier pars pro toto verstanden für sämtliche Bemühungen um die Einübung „verkehrsgerechten“ bzw. „risikokompetenten“ Verhaltens) durch den Auf- und Ausbau von Fahrschulen und spezialisierten Lehrgängen, (vor-)schulische Verkehrspädagogik (u.a. Verkehrskasper, Fahrradführerschein), die Ausbildung der Ausbilder (Zugänge zum Fahrlehrerberuf, Polizeiausbildung) bis hin zu breit angelegten Sicherheitskampagnen („Komm gut heim“) und massenmedialen Formaten (Verkehrserziehungsfilme, Der 7. Sinn). Zum anderen geht es um Prozesse der Akkumulation und Weitergabe von Expertise und „sicherheitsrelevanten“ Wissensbeständen in ihrer Vielfalt und Konkurrenz zueinander, die auch in einer teils sich ergänzenden, teils konfligierenden Lobbyarbeit sowie in unterschiedlichen Konzepten der „Sicherheitsdidaktik“ bestand.

Neben Fachleuten des Erziehungswesens und der Massenmedien profilieren sich Akteure aus nahezu sämtlichen gesellschaftlichen Funktionionsbereichen als „Sicherheitseliten“ und erweisen Verkehrssicherheit als gesellschaftliches Querschnittsthema, vor allem als Regulierungsinstanz kommt dem Staat jedoch wesentliche Bedeutung zu. Dabei greifen staatliche Instanzen wie die Verkehrsministerien von Bund und Ländern und die Kultusministerien auf die Expertise unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen wie Psychologie und Soziologie zurück. Die Justiz ist über das Verkehrsrecht prominent involviert, während Wirtschaftsunternehmen und -verbände sowohl eigene Forschung betreiben als auch sich unmittelbar im Feld der Verkehrserziehung betätigen. Diese ist eigentlich der genuine Arbeitsbereich von Vereinen und Verbänden (Verkehrswachten, Deutscher Verkehrssicherheitsrat, ADAC,  ADFC etc.), die als Schnittstellen und Transmissionsriemen für verkehrssicherheits-spezifisches Wissen fungieren. Zentraler Akteur ist jedoch der Verkehrsteilnehmer selbst, der nicht nur Objekt des Verkehrssicherheitsdiskurses ist, sondern zugleich ein äußerst eigensinniges Subjekt.

So soll innerhalb eines prominenten soziotechnischen Infrastruktursystems die Wirkungsweise der „unsichtbaren Hände“ und des „siebten Sinns“ historisch erfasst und gefragt werden, was dies über die selbstregulativen Prozesse einer hoch differenzierten und dynamischen Gesellschaft aussagt. Eine solche Konfigurationsanalyse kann dabei ein ganzes Set an materiellen, technischen, ökonomischen, kulturellen, sozialen und symbolischen Ebenen miteinander in Beziehung setzen und den Blick auf gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen im zeitlichen Wandel freilegen. Im Zusammenhang mit der Sicherheit auf den Straßen finden vielfältige dynamische Aushandlungsprozesse statt, etwa über den (Straßen-)Verkehr und seine Leitbilder wie Demokratie, Wohlstand und Freiheit, über die Relation von Sicherheit und Risiko, von Mensch und Technik, über das angemessene Verhältnis von Regulierung und Selbstorganisation, von gesellschaftlicher und individueller Moral, das Geschlechterverhältnis bis hin zu Postulaten einer Verkehrsethik. Nicht zuletzt gibt die Untersuchung Auskunft über die eigentümliche Dialektik von Versicherheitlichungs- und Entsicherheitlichungsprozessen und die Genese von Sicherheitsräumen und Sicherheitsroutinen.

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