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Geschlechtergerecht ist nicht gleich inklusiv
Eine geschlechtergerechte Sprache ist sinnvoll, egal wie gegendert wird, entscheidend ist ja, dass jemensch mitgedacht wird, oder? Jaein!
Natürlich ist es wichtig, dass sich so viele Menschen wie möglich angesprochen und akzeptiert fühlen. Doch eine gendergerechte Sprache ist nicht auch gleich eine inklusive Sprache. Besonders für Menschen mit einer Sehbehinderung, die auf eine synthetische Sprachausgabe (Screenreader) angewiesen sind, kann eine gendergerechte Sprache mit Satz und Sonderzeichen eine doppelte Barriere bedeuten. Auch der Deutsche Blinden- und Sehbehinderten Verband (DBSV) sieht die Varianten des Genderns (*, :, /, _, Binnen-I) überwiegend kritisch, da diese eine zusätzliche Hürde beim Vorlesen bedeuten können. Die Satz und Sonderzeichen, welche innerhalb der Wörter auftreten, werden mit ausgegeben und oft als störend für den Lesefluss empfunden – es ist ein „Stolperstein“, jedoch einer, der für alle Lesenden bzw. Hörenden besteht: durch das Gendern soll deutlich werden, dass es nicht nur zwei Geschlechter gibt, sondern eine Vielzahl.
Auch Menschen mit einer Sehbehinderung haben das Recht, richtig zu gendern bzw. sich als nicht-binär lebende Person angesprochen und wahrgenommen zu fühlen. Allerdings gibt es beim Gendern gravierende Unterschiede, besonders bei der Nutzung einer Sprachausgabe. Gegenderte Wörter werden durch die Sprachausgaben teilweise in einer sehr sonderbaren Gestalt wiedergegeben:
- aus „Mitarbeiter*innen“ wird „Mitarbeiter Stern Innen“
- aus „Mitarbeiter_innen“ wird „Mitarbeiter Unterstrich Innen“ (schlecht in der Blindenschrift darstellbar)
- und „Mitarbeiter:innen“ wird oft als „Mitarbeiter innen“ mit einer Pause (dem stimmlosen glottalen Plosiv oder auch Glottisschlag ähnlich) wiedergegeben, die jedoch aufgrund der ungewöhnlichen Länge ein Satzende vermuten lässt. Der Doppelpunkt ist zudem als Interpunktionszeichen etabliert und kündigt einen weiterführenden Satz, eine wörtliche Rede oder Aufzählung an. Dies kann zu Fehlschlüssen führen.
Diese Einstellung ließe sich aber auch bspw. für den Genderstern konfigurieren, damit dieser ebenfalls als Pause gelesen wird, wenn er sich zwischen zwei Buchstaben befindet (u.a. bei der Screenreadersoftware NVDA ist das möglich).
Trotz kritischer Haltung gegenüber Satz und Sonderzeichen hat der DBSV im März 2021 aufgrund der Brisanz und Wichtigkeit der Thematik Gendern und inklusive Sprache Position bezogen. So sieht er die Verwendung des Gendersterns (Asterisk) als gute Alternative, falls keine andere Textlösung gefunden werden kann. Diese Entscheidung begründet der Verband damit, dass zufolge von Veröffentlichungen des Deutschen Rechtschreibrates der Stern die am häufigsten verwendete Nutzungsform ist und dem allgemeinen Anliegen nach einem Konsenszeichen am nächsten kommt. Ein weiterer Grund für die Verwendung des Sterns ist, dass Doppelpunkt und Unterstrich für sehbehinderte Menschen oftmals schlechter zu erkennen bzw. von anderen Buchstaben zu unterscheiden sind. Bei dem Gendergap sind es besonders Probleme beim Vorlesen (sowohl durch einen Computer als auch durch eine Person) und bei der Darstellung in der Blindenschrift. Bei dem Doppelpunkt ist die Problematik, dass er als Interpunktionszeichen bereits etablierte Funktionen hat; er kündigt einen weiterführenden Satz an, der sich aus dem vorhergehenden ergibt, wie bspw. Zusammenfassungen, wörtliche Rede, Aufzählungen etc. Dies führt zu einem zu Verwirrung zum anderen würde er so gesehen die Endung „innen“ ankündigen. Also die weibliche Form folgt der männlichen oder wird zusätzlich betont. Beides erfüllt nicht die angedachte Funktion.
Die ursprüngliche Aufgabe der Gender-Varianten ist es, alle Geschlechter gleichermaßen sichtbar zu machen. Der Doppelpunkt ist in der queeren Community (noch) nicht etabliert bzw. akzeptiert wie bspw. der Stern oder der Gendergap. Dies könnte natürlich an der erst kurzen Lebensperiode oder an der Entstehung liegen, da der Genderdoppelpunkt nicht durch die queere Community begründet wurde, sondern durch einen Zufall bei einem Gewinnspiel des Fusion-Festivals. Heikel ist auch, dass der Doppelpunkt, wie auch der Gendergap, in der Brailleschrift mehrdeutig konnotiert ist. Zudem kann er auch von vorlesenden Personen leicht überlesen werden, was die Wirkung des Zeichens nicht nur reduziert, sondern so nur die weibliche Form des Wortes vertreten ist.
Anzumerken ist, dass auch der Rat für deutsche Rechtschreibung die Nutzung von Satz und Sonderzeichen ebenfalls kritisch sieht, da diese inmitten von Wörtern (bisher) nicht den Orthografie-Regeln entsprechen. Folglich wird das erlernte Schriftbild verändert und das etablierte Sprachsystem von Grammatik und Satzbau in Teilen gänzlich zerstört, dies ist bspw. bei umgelauteten Pluralformen wie Arzt/Ärztin oder durch Mehrfachnennungen von Artikeln der Fall. Besonders problematisch sind diese Abweichungen für Personen, die die Orthografie erst erlernen oder mit der deutschen Sprache weniger vertraut sind. Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist und die zusätzlich eine Behinderung oder Beeinträchtigung haben, stoßen hier möglicherweise auf eine doppelte Barriere. Das Gendern mit Satz- und Sonderzeichen wird daher vom Rat für deutsche Rechtschreibung nicht als korrekte Orthografie angesehen oder empfohlen. Besonders für Menschen mit kognitiven Einschränkungen sind weder der Genderstern noch der Doppelpunkt im Kontext „Leichter Sprache“ eine barrierearme Lösung. Gleiches gilt auch für das generische Maskulinum. Denn alle drei Varianten erfordern eine hohe kognitive Transferleistung.
Als glücklichste und sinnerfüllendste Nutzungsformen des Genderns scheinen neutrale Begriffe und Textlösungen zu sein, die kein Geschlecht ausschließen wie bspw. Team, Mitarbeitende oder Studierende. Doch eine solche Verwendung ist nicht immer möglich oder ansprechend. Wodurch die Nutzung von Satz und Sonderzeichen unabdingbar ist, wenn auf eine gendersensible Sprache wertgelegt wird.
Trotz der mehrheitlichen Zustimmung für den Genderstern ist es jedoch (bisher) nicht sinnvoll, eine Vereinheitlichung bei Gendersprache zu bestimmen und andere Möglichkeiten des Genderns abzulehnen. Dies ist sogar problematisch, da sowohl blinde als auch sehende Menschen unterschiedliche Varianten favorisieren. Schwierig ist zudem, dass unterschiedliche Screenreader genutzt werden, wobei die Wörter bei jedem System und jeder Version anders vorgelesen werden. Besonders bei kostenintensiver Screenreader-Software steht blinden Menschen nicht immer die aktuellste Version zur Verfügung. Auch sind die Möglichkeiten der Einstellungen der Screenreader-Software sehr differenziert und mit einem gewissen know-how verbunden.
Zum Schluss: Gendern sollte nicht als ideologischer Zwang verstanden werden. Sprache und deren Wandel ist für alle Mitglieder einer Gesellschaft eine Herausforderung: Gendersensibel und inklusiv zu formulieren ist eine Chance, jeder Person respektvoll begegnen zu können.
Autorin: Christine Krause, SBS
Mai 2021