Hauptinhalt
Verboten und nicht verbrannt
Die Universitätsbibliothek Marburg und ihre Bücher von 1933 bis 1946
Im Zusammenhang mit den nationalsozialistischen Bücherverboten sind vor allem die öffentlichen Bücherverbrennungen im Mai 1933 im Bewusstsein geblieben, so dass der Eindruck entstehen konnte, die von den Nationalsozialisten verbotene Literatur in den Beständen der öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken sei planmäßig vernichtet worden. Tatsächlich waren jedoch die wissenschaftlichen Bibliotheken lediglich gehalten, ihre Bestände an verbotenem und schädlichen Schrifttum zu ermitteln und unter Verschluss zu halten.
Die Historikerin Dr. Margret Lemberg hat in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Marburg die nationalsozialistische Zensurpolitik am Beispiel der Marburger UB im Rahmen einer umfangreichen Ausstellung dokumentiert. Anhand der ab 1936 an alle wissenschaftlichen Bibliotheken verschickten Verbotslisten wurde der damals in Marburg vorhandene Bestand an verbotenen bzw. als geheim eingestuften Werken ermittelt. Dabei stellte sich heraus, dass die Bibliothek schon vor 1933 über ausgesprochen reichhaltige Bestände in den Sachgebieten verfügte, die besonders von den Verboten betroffen waren, wie z.B. sozialistische und kommunistische Literatur, Psychoanalyse u.a. Auch während der NS-Zeit wurde verbotene Literatur durch Kauf erworben, spektakulärstes Beispiel ist das vom späteren Bundeskanzler Willy Brandt im norwegischen Exil verfasste Buch "Kriget i Norge" (Krieg in Norwegen; Stockholm, 1941).
Ab 1933 erhielt die Universitätsbibliothek außerdem mehrfach Zuweisungen von Büchern, die von den Polizeibehörden in Leihbüchereien, Arbeiterbibliotheken und privaten Büchersammlungen beschlagnahmt worden waren. Darunter befanden sich sechs Werke, deren Herkunft anhand von Besitzstempeln und handschriftlichen Namenseintragungen bald geklärt werden konnte: Sie stammten teils aus der Firmenbibliothek der Seifenfabrik "Victor Wolf" in Steinau, teils aus der Privatbibliothek ihres Besitzers, des deutsch-jüdischen Fabrikanten Max Wolf (1887-1948)(pdf - 38 kB).
Die Universitätsbibliothek Marburg ist seit längerem bemüht, von den Nationalsozialisten beschlagnahmte Bücher in ihren Beständen zu ermitteln und ihren rechtmäßigen Besitzern zurückzuerstatten. Im Herbst 1999 wurde hierfür eine Projektstelle eingerichtet. Trotz intensiver Recherche war es allerdings bis zum Fund der genannten Werke in vielen Fällen nicht möglich, die aus Beschlagnahmungen stammenden Bücher zu identifizieren, da sie in den Zugangsbüchern nur summarisch, d.h. ohne Titelangaben erfasst sind. Erst bei den Büchern aus der Wolf´schen Firmen- bzw. Privatbibliothek konnte nicht nur die Herkunft der Werke geklärt, sondern auch ihr rechtmäßiger Besitzer, der Sohn des 1934 mit seiner Familie nach England emigrierten Max Wolf, ausfindig gemacht werden. Er war bei der Eröffnung der Ausstellung anwesend, in deren Rahmen auch die Rückgabe der Bücher erfolgte.
Zu der Ausstellung ist in der Schriftenreihe der Universitätsbibliothek eine zweibändige Begleitpublikation erschienen. Der erste Band behandelt die Geschichte der Marburger Universitätsbibliothek zwischen 1933 und 1946, wobei die Auswirkungen der nationalsozialistischen Politik und des Weltkrieges im Vordergrund stehen. Der zweite Band enthält einen nach Sachgruppen geordneten Katalog der zwischen 1933 und 1945 in der Universitätsbibliothek sekretierten Bücher mit kurzen Einführungen zu den einzelnen Sachgruppen.
Margret Lemberg: Verboten und nicht verbrannt (Schriften der Universitätsbibliothek Marburg , 110)
ISBN 3-8185-0339-7 (20 Euro)
Bd. 1: Die Universitätsbibliothek Marburg und ihre Bücher von 1933 bis 1946 (XVI, 234 S.)
Bd. 2: Katalog der von 1933 bis 1945 in der Universitätsbibliothek Marburg sekretierten Bücher (288 S.)