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Die Erweiterung der Universitätsbibliothek im Jahr 1770/71
Vor 250 Jahren erfuhr die Bibliothek der Universität eine bedeutende Vergrößerung: Der rund 240 Jahre ausreichende Raum im Obergeschoss des Südflügels im ehemaligen Franziskanerkloster am Plan wurde um einen Raum gleicher Größe erweitert.
Bereits im sog. „Freiheitsbrief“, den Landgraf Philipp 1529 für die Universität ausstellte, wird eine Bibliothek auf dem Marburger Schloss erwähnt. Recht bald zog sie offenbar in das ehemalige Klostergebäude um, und zwar in den Gebäudeteil, der im späten Mittelalter über die Stadtmauer hinaus errichtet und um 1825 teilweise neu erbaut wurde. Seine mit massiven Stützen verstärkte Südwand beeindruckt noch heute, zum Plan hin zeigt das Gebäude eine klassizistisch gestaltete Fassade.
An den Bibliotheksraum nach Westen anschließend erstreckte sich über drei Stockwerke die Wohnung des Bibliothekars, eines Professors an der Universität. Im östlichen Gebäudeteil befand sich die Wohnung des Ephorus, also desjenigen Professors, der für die Stipendiatenanstalt zuständig war. Von dort aus hatte er einen Ausblick auf einen heute nicht mehr existierenden Flügel des ehemaligen Klosters, in dem die Stipendiaten ihre Kammern hatten. Im Erdgeschoss des Gebäudes waren außerdem der Hörsaal der Medizinischen Fakultät und das Auditorium der Philosophischen Fakultät untergebracht. Diese wurden nur gelegentlich für Veranstaltungen genutzt, da die Vorlesungen in der Regel in den Häusern der Professoren stattfanden. Eine dritte Professorenwohnung wurde offenbar für den Umbau der Bibliothek 1770/71 zum Teil geräumt.
Trotz weniger Ankäufe und einiger Schenkungen von Büchern war die Marburger Universitätsbibliothek in den knapp 250 Jahren ihres Bestehens bis zum Jahr 1768 nur wenig gewachsen. In diesem Jahr vermachte der Professor der Rechte und Kanzler der Universität Johann Georg Estor seine umfangreiche, mehr als 9000 Bände umfassende Bibliothek der Universität. Fünf Jahre später verstarb er.
Für den erforderlichen Platz war auch durch die Initiative des Stifters Estor selbst 1769-1771 bereits gesorgt worden: Durch Umbau von einigen vorher zu der dritten Professorenwohnung gehörenden Stuben und eines Treppenhauses wurde nach dem Entwurf des Baumeisters F[ranz] Coester vom 30. November 1769 ein zweiter, genauso großer Raum wie der erste geschaffen. Die Bücher waren an den Wänden zwischen den Fenstern in raumhohen Regalen aufgestellt. In der Mitte des alten Bibliotheksraums befand sich ein von beiden Seiten zu nutzendes, offenbar nur tischhohes Regal. Ebenso sollte nach Coesters Plan der zweite Raum ausgestattet werden. Beide wurden durch einen Durchgang verbunden.
Der Akte mit dem Schriftwechsel und den Kostenvoranschlägen zu der Baumaßnahme sind auch zwei Grundrisse beigegeben, die den bestehenden Zustand und den geplanten Umbau zeigen, außerdem einen Aufriss der Innenwand nach Süden. Während in dem nur erst geplanten Raum die Regale noch alle leer sind, zeichnete Coester im bestehenden Bibliotheksraum ein vollständig mit Büchern befülltes Regal, in den anderen sind lediglich auf dem untersten Boden Bücher zu erkennen. Auch von der in der Raummitte platzierte „Repasedur“ zeichnete er einen Aufriss.
So gewinnt man 250 Jahre nach dem Beginn der Planungen zur ersten Erweiterung einen Eindruck, welche Größe die Universitätsbibliothek rund 240 Jahre hatte und wie der Raumeindruck im späten 18. Jahrhundert war. Da der Bücherbestand in den folgenden Jahrzehnten wesentlich stärker wuchs, reichte die Verdoppelung des Platzangebots nur wenige Jahrzehnte aus. Der schlechte Gesamtzustand des Gebäudes kam noch dazu, so dass 1823-1825 ein tiefgreifender Umbau erfolgte und im Jahr 1900 schließlich ein Neubau in der Universitätsstraße bezogen wurde.
Katharina Schaal
UniA Marburg 305a Nr. 6093
Gottfried Zedler, Geschichte der Universitätsbibliothek zu Marburg von 1527-1887, Marburg 1896
Bernd Reifenberg, Die Stiftung des Kanzlers Johann Georg Estor. Ein großzügiges Geschenk zugunsten der Universitätsbibliothek, in: Marburger UniJournal, Sonderausgabe Januar 2000, S. 24-25
Zu Estor siehe Marburger Professorenkatalog online: https://professorenkatalog.online.uni-marburg.de/de/pkat/idrec?id=6991 (Stand: 2.11.2022)
Albrecht Hoffmann, Baukunst in Forschung und Praxis. Marburger Architekten und Ingenieure in althessischer und preußischer Zeit (Marburger Stadtschriften zur Geschichte und Kultur 84), Marburg 2006, S. 35: Wasserkunstmeister Franz Coester (1744-1823)