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Versorgung von Professorenwitwen
Bis weit ins 19. Jahrhundert war den Menschen der Gedanke an eine staatliche, gesetzlich vorgeschriebene Sozialversicherung fremd. Die Absicherung gegen die Risiken des Lebens lag allein in der Hand des Einzelnen. Almosen und Stiftungen konnten zuweilen die größte Not lindern, aber eine menschenwürdige Existenz konnten sie in Armut geratenen Menschen nicht verschaffen. Besonders hart konnte hier das Los der Witwen sein, wenn der Mann und „Ernährer“ der Familie bereits in jungen Jahren ohne ansehnliches Vermögen verstarb. Dieses Schicksal konnte auch die Witwen von Professoren treffen. Starb der Ehemann wurde oft nur noch das „Gnadenquartal“, d.h. die Bestallung des Mannes wurde ein Quartal über den Tod hinaus weitergezahlt, gewährt. Danach stand die Witwe nicht selten mit einer Schar unmündiger Kinder ohne jede Versorgung dar.
Der Bruder des verstorbenen Medizinprofessors Philipp Dorstenius bittet um Zahlung eines Jahresgehaltes an dessen Witwe, 1574.UniA Marburg 305o Nr. 134, fol.1r
UniA Marburg 305o Nr. 134, fol.1v und 2r
Im 17. Jahrhundert kam deshalb in der Professorenschaft der Gedanke auf diesem Übel in Form einer Witwenkasse abzuhelfen. Jeder Professor (im Idealfall) zahlte in diese Kasse ein, die notleidenden Professorenwitwen eine bescheidene Unterstützung gewähren sollte. Im Jahr 1688 begründet, bestand diese Witwenkasse bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts hinein.
Erstes Rechnungsbuch der Witwenkasse von 1688.UniA Marburg 305r 20 Nr. 1 Rechnungen 1689/90
Rechnungsbuch der Witwenkasse aus dem Jahr 1750.UniA Marburg 305r 29 Nr. 56 Rechnungen 1750
Rechnungsbuch der Witwenkasse aus dem Jahr 1850. UniA Marburg Rechnungsbücher der Witwenkasse aus den Jahren 1750 und 1850.UniA Marburg 305r 29 Nr. 158 Rechnungen 1850
Die Witwe des 1792 mit nur 38 Jahren verstorbenen Professors für orientalische Sprachen Johann Heinrich Wepler hatte im Jahr 1798 mit der Tochter des Schuhmachermeisters aus Wetter, Daniel Hausmann, einen Dienstvertrag auf ein Jahr geschlossen. Christiane Hausmann hatte sich darin als Magd verdingt. Noch vor Ende des verabredeten Jahres forderte der Vater die Aufhebung des Vertrages. Er wollte von vertrauenswürdigen Leuten erfahren haben, dass die Witwe Wepler „Tag und Nacht Männer aller Gattungen“empfinge, die „der Venus Opfer bringen“. Aus diesem Sündenpfuhl wollte der sittenstrenge Schuhmachermeister seine Tochter retten, aber die Witwe bestand auf Vertragserfüllung. Der Vater wandte sich deshalb an den Rektor, da dieser auch für die Professorenwitwe zuständiger Gerichtsstand war.Ob die Witwe des Orientalisten tatsächlich jenem anrüchigen Gewerbe nachging, ist sehr zu bezweifeln. Vermutlich bemühte sie sich nur, in ihrem Haus eine zeittypische Geselligkeit zu pflegen. Aber Marburg war nicht Berlin und die Witwe Wepler nicht Rahel Varnhagen – so kam sie wohl in dieses „Geschrei“.