Hauptinhalt

Studie "Diskriminierung und geschlechtsbasierte Gewalt im Hochschulkontext am Beispiel der Philipps-Universität Marburg"

In einer Studie zu Diskriminierung und geschlechtsbasierter Gewalt im Hochschulkontext, welche von 2019 bis 2023 an der Philipps-Universität Marburg durchgeführt wurde, haben Annette Henninger, Marion Näser-Lather und Shayma Hemati unter Mitarbeit von Merlin Wagler die Betroffenheit von Diskriminierung und geschlechtsspezifischer Gewalt durch Peers aus einer intersektionalen Perspektive im akademischen Bereich untersucht. Vorausgegangen war dem Projekt bereits eine exemplarische Erhebung zu geschlechtsbasierter Gewalt am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie im Rahmen eines Studierendenprojekts, deren Ergebnisse Peer-to-Peer Gewalt in den Fokus rückten.1

Für die vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst geförderte Studie von Henninger et al. wurden eine quantitative Online-Befragung sowie vertiefende Expert*innen-Interviews mit Anlaufstellen zur Unterstützung bei Diskriminierung und geschlechtsbasierter Gewalt durchgeführt. Ziel der Studie war zu eruieren, inwiefern marginalisierte Studierende besonders von Diskriminierung und geschlechtsbezogener Peergewalt betroffen sind. Auch welche Kategorien, Mechanismen, Fachkulturen und (institutionelle) Faktoren dabei wie zusammenwirken und wie Betroffene, Zeug*innen und die Universität als Institution mit diesen Vorfällen umgehen, fand in der Studie Beachtung.

Untersucht wurden die Fachbereiche Biologie, Geografie und Germanistik sowie die Fächer Betriebswirtschaft und Informatik. Leider war die Beteiligung an der Online-Befragung zu gering zur Umsetzung einer statistischen Auswertung. Stattdessen konnten die Interviews  sehr gut für vertiefende Auswertungen genutzt werden und lieferten wertvolle Einblicke (S. 8 f.)

Zentrale Befunde des Projekts

Im Folgenden sind die zentralen Befunde des Projekts, welche auch die Befunde anderer Studien bestätigen, zusammengefasst in Stichpunkten aufgelistet. Genauere Informationen zu den einzelnen Ergebnissen finden Sie im kompletten Projekt-Bericht (S. 2).

  • Zentrale Befunde

    Gewalt und Diskriminierung treten vor allem in verbaler Form auf (z.B. unerwünschte Kommentare oder Witze) oder in Form differenzierenden sozialen Verhaltens (z.B. Nicht-Anerkennung von Leistungen, Ungleichbehandlung, Absprechen von Kompetenz, Bodyshaming, Ausgrenzung)

    (Sexualisierte) physische Gewalt ist zwar selten, hat aber gravierende Auswirkungen für die Betroffenen

    Frauen, LGBTI*Q-Personen, Studierende mit Migrationshintergrund und Studierende, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sind überdurchschnittlich von Diskriminierung und Gewalt betroffen

    Übergriffe finden zu gleichen Teilen in unmittelbar universitären Kontexten (Räumlichkeiten der Universität, studentische Arbeitsverhältnisse) und in studentisch geprägten privaten Kontexten statt (z.B. Wohnheim, Partys)

    Täter*innen sind fast durchgängig cis-männlich und stammen häufig aus dem (studentischen) Bekanntenkreis des Opfers

    Zeug*innen schritten nur selten ein oder unterstützten sogar die verursachende Person

    Erlebte oder beobachtete Fälle werden nur selten gemeldet, obwohl die universitären Ansprechstellen weitgehend bekannt sind (Gründe hierfür sind beispielsweise die Schwierigkeit für Betroffene und Zeug*innen die Vorfälle einzuordnen, Scham oder Sorge vor negativen Konsequenzen)

    Ermöglichungskontexte wie cis-männlich dominierte Fachkulturen, Normalisierung von Sexismus und/oder Rassismus oder Ausschlüsse gegenüber Nicht-Muttersprachler*innen wurden in allen Fächern beobachtet

    dezentrale Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sind häufig die ersten Anlaufstellen für Fälle von (geschlechtsbasierter) Diskriminierung und Gewalt in ihrem Fach(bereich)

Aus diesen Erkenntnissen wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet, die bei allen Statusgruppen ansetzen sollen. Betont wurde die Notwendigkeit von dauerhaft strukturellen Maßnahmen, die Wichtigkeit der institutionellen Verantwortungsübernahme durch die Universität und Transparenz hinsichtlich der Konsequenzen von Fehlverhalten (S. 12 ff.). 

Verbesserungsvorschläge und Maßnahmen

Für den Umgang der Universität mit Diskriminierung und geschlechtsbasierter Gewalt entwickelte die Projektgruppe auf Basis ihrer Ergebnisse folgende generelle Verbesserungsvorschläge (S. 13 f.).

  • Verbesserungsvorschläge für die Universität

    Verbesserung des Klimas an der Universität (Speak-up-Culture)

    Veränderung cis-männlich dominierter Fachkulturen

    Bewusstseinsbildung, dass Hierarchie und Machtverhältnisse strukturelle Probleme sind

    Konsequentes Handeln der Universität bei diskriminierendem Handeln (kein symbolisches Beschwerdemanagement)

    Verbesserung und Sichtbarmachung der Arbeit der Ansprechstellen

Für die Verbesserung und Sichtbarmachung des Informations- und Beratungsangebots der Ansprechstellen wurde darauf aufbauend ein konkreter Maßnahmenkatalog entwickelt (S. 14 f.). Neben den bereits im Projektbericht aufgeführten Aspekten wurden in einem gemeinsamen Werkstattgespräch mit den Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Fachbereiche und Mitgliedern des Vertrauensrats zum Schutz vor sexualisierter Belästigung und Gewalt weitere Maßnahmen erarbeitet:

Verbesserung des Angebots

Maßnahmen Was ist schon passiert?
Mehrsprachigkeit

Die Homepage der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragen und der Antidiskriminierungsstelle wurden ins Englische übersetzt. Außerdem sind Beratungen ebenfalls auf Englisch möglich.

Auch der Vertrauensrat hat einen englischen Flyer.

Fiktive Fallvignetten als Beispiele für bessere Einordnung des Erlebten In Planung für 2024.
Prüfung von Möglichkeiten, ob Ergebnisse der Bearbeitung von Beratungs- und Beschwerdefälle anonymisiert veröffentlich werden können In Planung für 2024.

Ausweitung des Angebots von Workshops zur Privilegien-Reflexion für Verwaltungspersonal, wissenschaftliches Personal und Lehrende

Die AGG-Schulung für Beschäftigte mit und ohne Führungsaufgaben wurde online auf Deutsch und Englisch neu konzipiert und wird verpflichtend eingeführt. Gegenwärtig (Stand 2/2024) befindet sich die Schulung im universitätsweiten Roll-Out.

Auf der Webseite der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten sind außerdem digitale Angebote zum Unconscious Bias (v.a. mit Fokus auf Berufungsverfahren) zusammengetragen und es steht eine Broschüre zu Unbewussten Vorurteilen in der Wissenschaft zur Verfügung. Unconscious Bias Workshops werden on-demand über die Antidiskriminierungsstelle angeboten.

Die Erarbeitung eines Gesamtskonzepts zum Schutz vor geschlechtsbasierter und sexualisierter Gewalt ist in Planung.

Sichtbarmachung des Angebots

Maßnahmen Was ist schon passiert?
Vorstellung der dezentralen Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Fachbereiche in den Orientierungsveranstaltungen für Erstsemesterstudierende Ist flächendeckend je nach Größe des Fachbereichs aus kapazitären Gründen nicht machbar. Die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten des FB 10 haben entsprechende Folien zu Machtverhältnissen und Anlaufstellen an der Universität erstellt, welche von allen Lehrenden beliebig oft in Veranstaltungen genutzt werden können. Interesse? Schreiben Sie uns gerne eine .
Integration der Angebote in kostenlose Informationsbroschüren für Studieninteressierte Ist umgesetzt und in der Broschüre "Neu an der Uni Marburg" zu finden.
Verbesserte Auffindbarkeit des anonymen Beschwerdeformulars und anderer Informationen über die Einstiegs-Webseite

Ist umgesetzt durch eine Info-Kachel zu Diversität auf der Landingpage der Universität Marburg sowie durch Linksammlungen verschiedener Anlaufstellen auf den Seiten der Zentralen Studienberatung (ZAS).

Das bestehende anonyme Beschwerdeformular  wird Stück für Stück an weiteren Stellen verlinkt und somit leichter auffindbar werden.

Unterstützende Öffentlichkeitsarbeit durch permanente Plakate etc. zwecks Sichtbarmachung und Sensibilisierung Eine Plakatkampagne wird gegenwärtig (Stand 02/2024) vorbereitet.

„Open Door“-Veranstaltung, wo Personen sich an einem zentralen Ort (Hörsaalgebäude) informieren können

Sowohl für das Lahntal (nach der Renovierung des HSG) als auch für die Lahnberge geplant.

Allgemein erhöhte Sichtbarkeit

Die seit 2018 bestehenden Notfall-Sticker auf allen Toiletten werden neu gestaltet und mit einem QR-Code versehen, der auf eine Seite mit Anlaufstellen führt.

Stand: Februar 2024

Die komplette Studie zu „Diskriminierung und geschlechtsbasierte Gewalt im Hochschulkontext am Beispiel der Philipps Universität Marburg" finden Sie hier.

Gerhards, Moritz; Hemati, Shayma; Landeck, Ronja; Leschzyk, Dinah; Pamir, Annika; Schenkel, Camilla; Wittekind, Louisa Katharina (2020):  Diskriminierung am Fachbereich 03 Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg. Marburg: Institut für Politikwissenschaft.