Hauptinhalt

Tierversuche im Fachbereich Biologie

Jungvogel auf der Hand eines Lehrenden - eine andere Person fotografiert den Jungvogel mit Beringung
Foto: Sascha Rösner
Beringung eines Jungvogels bei Blaumeisen.

Im Fachbereich Biologie werden Erkenntnisse häufig durch Besenderung oder Beringung von Wildtieren wie Vögeln oder Fledermäusen im Freiland erlangt. Neben der Vogelberingung unter Aufsicht und Genehmigung der deutschen Beringungszentralen und Vogelschutzwarten (Hessen: HLNUG) werden erweiterte Markierungen etwa mit Miniatursendern als Tierversuch durchgeführt. Die Tiere werden unmittelbar nach der Beringung noch vor Ort wieder freigelassen. Tierversuche werden auch im Bereich Entwicklungsbiologie an Krallenfröschen und Zebrafischen durchgeführt.

Biodiversität und Naturschutz

Im Gegensatz zu experimentellen Studien unter Laborbedingungen werden bei ökologischen oder naturschutzfachlichen Studien häufig wildlebende Organismen in ihrer natürlichen Umwelt erforscht. Zur Beantwortung verschiedener Fragestellung ist es unabdingbar, Wildtiere zu fangen, um sie etwa zu beproben oder zu markieren. Dabei werden die Wildtiere kurzfristig in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, durch z.B. Blut- oder Gewebeentnahmen belastet oder durch das Anbringen von erweiterten Markierungen leicht beeinträchtigt.

Arbeiten mit Säugetieren

Die Erforschung der Ökologie nachtaktiver Säuger ist sehr komplex und aufwendig. In der Arbeitsgruppe Naturschutz des Fachbereiches Biologie wurden zur Beantwortung von Forschungsfragen zur Habitatnutzung invasiver Waschbären mehrere Waschbären in Kooperation der Tierschutzbeauftragten und Tierärzt*innen gefangen und mit Senderhalsbändern versehen. Einzelne Tiere nutzen nachts regelmäßig nahgelegene Ortschaften zur Nahrungssuche während andere ausschließlich und kleinräumig im Waldhabitat agierten und reproduzierten.

Die Suche und Dokumentation etwa von Fortpflanzungsstätten streng geschützter Fledermausarten (nach Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie EU) stellt im Naturschutz eine besondere Herausforderung dar. Mit Miniatursendern ausgestattete Fledermäuse können während ihrer nächtlichen Bewegungen verfolgt werden. So kann die Raumnutzung für umweltplanerische Verfahren präzise dokumentiert werden. Diese telemetrischen Verfahren werden auch in Planungsverfahren etwa zur Errichtung von Windkraftanlagen angewandt. Der Schutz von Fortpflanzungs- oder Überwinterungsstätten kann so zielgerichtet realisiert werden.

Arbeiten mit Wildvögeln

Mäusebussard seitlich aufgenommen
Foto: Sascha Rösner
Ein Mäusebussard mit einem Solarsender-Rucksack.

Klassische feldökologische Methoden werden in der ornithologischen Forschung der Arbeitsgruppe Naturschutz häufig durch das individuelle Markieren von Vögeln ergänzt. Dazu werden freilebende Sperlingsvögel, Spechte, Tauben und Greifvögel gefangen und mit individuellen Ringen („Personalausweis für Vögel“) der staatlichen Beringungszentralen an den Beinen markiert. Während die Markierung mit Ringen keinen Tierversuch darstellt, ist etwa für die Entnahme von Blut eine enstprechende tierschutzrechtliche Genehmigung erforderlich. Diese Blutproben ermöglichen, die stressphysiologischen Reaktionen der Tiere auf Umweltbedingungen zu erforschen. Die Untersuchung einer Waldvogelgemeinschaft mit über 400 Tieren bei Marburg erbrachte dabei, dass jedes zweite Tier mit Blutparasiten (u.a. „Vogelmalaria“) infiziert ist. Derartige Krankheitserreger können ganze Vogelpopulationen gefährden. 

Seit 2019 werden auch Miniatursender im Rahmen genehmigter Tierversuche auf „Kleinvögeln“ angebracht. Die Aktivitäts- und Ruhephasen zeigten komplexe Muster der Habitatnutzung. Während wenige Arten synchron aktiv sind (inkl. Tagesbeginn und   -ende), zeigen einzelne Arten wie etwa der Eichelhäher davon abweichende Aktivitätsmuster. Die ökologischen Treiber sind derzeit (Stand 2024) noch unbekannt.

In einem Forschungsschwerpunkt zu Greifvögeln wurden seit 2017 durch das Team der Arbeitsgruppe Naturschutz über 70 Greifvögel mit GPS-Sendern mit Solarunterstützung ausgestattet und liefern wertvolle Daten zur Bewegungsökologie. Während Mäusebussarde (Buteo buteo) ganzjährig ortstreu sind, ziehen hessische Rotmilane (Milvus milvus) jährlich auf die iberische Halbinsel zur Überwinterung. Die unterschiedlichen Sensoren der per Rucksack-Verfahren auf dem Rücken der geschützten Greifvögel montierten Sender liefern dabei zahlreiche Informationen etwa zu Zugwegen und Zugzeiten, den Flughöhen und der Habitatnutzung. Die Daten verraten zudem die versteckten Brutplätze, welche in Zusammenarbeit mit den Naturschutzbehörden (u.a. Hessisches Landesamt für Naturschutz, HLNUG) gezielt unter Schutz gestellt werden können. Die mittels Barometer- und GPS-Daten ermittelten Flughöhen können zum nachhaltigen Ausbau der Windenergie herangezogen werden, da die Art in der in der europäischen Naturschutzplanung eine zentrale Rolle spielt.

Entwicklungsbiologie

Arbeit mit Zebrafischen

viele Aquarien mit Zebrafischen
Foto: Universität Marburg
Zebrafische werden in der Entwicklungsbiologie eingesetzt.

Ein Forschungsschwerpunkt in der Entwicklungsbiologie liegt in der Untersuchung der Entwicklung des Herz-Kreislaufsystems. Während der Entwicklung des Herz-Kreislauf-Systems wandern Endothelzellen in einem als Angiogenese bezeichneten Prozess durch den sich entwickelnden Embryo und bilden ein komplexes Netzwerk aus Arterien und Venen. Während dieser Migration tauschen sie kontinuierlich Signale mit ihrer Umgebung aus. Die Komplexität des Herz-Kreislaufsystems, das aus einer Vielzahl von Zelltypen, Geweben und Organen besteht, sowie die Wechselwirkungen und Signalwege, die zu seiner Entwicklung und Funktion beitragen, können in einem isolierten Zellkultursystem nicht vollständig nachgebildet werden. Tiermodelle ermöglichen es, die natürliche und dynamische Umgebung des Organismus besser zu simulieren, wodurch die Relevanz der gewonnenen Daten für den menschlichen Organismus erhöht wird. Die zugrunde liegenden zellbiologischen und entwicklungsbiologischen Prozesse sind über alle Wirbeltiere (inklusive Mensch) hinweg konserviert. Daher kann der Zebrabärbling (Danio rerio) als Modellorganismus verwendet werden. Die Verwendung dieses Tiermodells ermöglicht es, detaillierte Einblicke in die komplexen Vorgänge der Angiogenese zu gewinnen, die für die Erforschung und Entwicklung von medizinischen Interventionen unerlässlich sind. Die Aufklärung der grundlegenden Signale, die die Migration von Endothelzellen beeinflussen und zur Bildung eines dreidimensionalen Netzwerks von Blutgefäßen führen, ist von essenzieller Bedeutung, um das Verständnis von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der häufigsten Todesursache Weltweit (WHO) zu vertiefen und potenzielle therapeutische Ansätze zu entwickeln.

Die Signale, die bei der Entwicklung des Herz-Kreislauf-Systems eine Rolle spielen, werden auch von Tumorzellen wiederverwendet, um das Wachstum und die Metastasierung des Tumors zu fördern. Daher haben viele der Entdeckungen aus der Herz-Kreislauf-Forschung bereits ihren Weg in die klinische Anwendung gefunden und sind mittlerweile die meist genutzten Anti-Angiogenese-Hemmer bei der Krebstherapie. Mit unserer Forschung hoffen wir, einen bedeutenden Beitrag zur Behandlung von Herz-Kreislauf- und Tumorerkrankungen zu leisten.

Arbeit mit Krallenfröschen

Krallenfrosch in Aquarium
Foto: Melanie Bernhardt
Krallenfrösche in der molekularen Embryologie.

Die molekulare Embryologie erforscht Signalmechanismen, die die Polarität und Bewegung von Zellen während der Embryonalentwicklung steuern. Im Vordergrund stehen dabei Faktoren und Prozesse, die für angeborene Fehlbildungen beim Menschen verantwortlich sind. Die Forscherinnen und Forscher analysieren zum einen dynamische Zell-Zell-Interaktionen, die Zellbewegungen steuern, zum anderen Chromatinregulatoren, die kontrollieren, welche Proteine eine Zelle produziert. Von besonderem Interesse ist dabei, wie neu entstandene Genvarianten bei Patientinnen und Patienten zu teils komplexen Krankheitsbildern beitragen, denn nur nach Verständnis der biologischen Grundlagen ist es möglich, gezielt Präventivmaßnahmen oder Behandlungsmethoden zu entwickeln. Für die Untersuchung dieser Genvarianten wird das Krallenfrosch-Modellsystem genutzt, da Xenopus-Eier relativ einfach und in großer Anzahl gewonnen werden können und ihre Entwicklung in der Petrischale kontinuierlich beobachtet werden kann. Moderne hochauflösende Mikroskopie ermöglicht es den Forschenden, zu analysieren, wie sich Zellen teilen und bewegen und welche dynamischen Prozesse in der Zelle ablaufen. Trotz der evolutionären Distanz zum Menschen sind viele molekulare Prozesse erstaunlich ähnlich, so dass funktionelle Untersuchungen in Xenopus in den meisten Fällen direkte Rückschlüsse auf die Proteinfunktionen im Menschen zulassen. Da das gesamte Genom von Patientinnen und Patienten in kurzer Zeit und zu geringen Kosten sequenziert werden kann, werden ständig neue, potentiell krankheitsrelevante Genvarianten entdeckt, die in Tiermodellen funktionell analysiert werden müssen. Die Abteilung Molekulare Embryologie arbeitet daher seit mehr als 10 Jahren mit Kolleginnen und Kollegen aus der Humangenetik zusammen, um die molekularen Mechanismen verschiedener Erkrankungen zu untersuchen.

Der genehmigungspflichtige Tierversuch besteht in der Gewinnung von Eiern bei erwachsenen Tieren.  Dazu werden die Weibchen durch Injektion von humanem Choriongonadotropin (hCG) zur Eiablage stimuliert. Die Männchen werden benötigt, um Spermien zu gewinnen, mit denen die Eier befruchtet werden. Auf diese Weise kann durch den Einsatz von nur wenigen Tieren eine große Anzahl befruchteter Eier gewonnen werden, da bei jeder Eiablage Hunderte von Eiern abgelegt werden. Dies dient auch dem Prinzip der Reduktion, d.h. der Verwendung möglichst weniger Tiere zu Versuchszwecken nach Russell und Burch (1959). Die befruchteten Eier können dann mit Effektormolekülen (z.B. RNA) injiziert werden, um Experimente zum Funktionsgewinn oder -verlust durchzuführen und die Auswirkungen auf die Embryonalentwicklung zu analysieren.