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Tierversuche im Fachbereich Medizin

zwei weiße Mäuse in Käfig
Foto: Jan Bosch
Mäuse werden bei Tierversuchen in der Medizin eingesetzt.

Entwicklung von Prophylaxe- und Therapiemaßnahmen

Ein Forschungsschwerpunkt des Instituts für Virologie ist die Entwicklung von Impfstoffen und Therapeutika gegen hochpathogene Viren. Neue Impfstoffe oder Medikamente werden zunächst intensiv in Zellkulturen untersucht und charakterisiert. Im nächsten Schritt werden diese neuen Substanzen in einem lebenden Organismus auf ihre Schutzwirkung untersucht. Es gibt im Moment noch keine andere Möglichkeit, die Komplexität des menschlichen Immunsystems auch nur annähernd genau nachzustellen. Impfstoffe gegen hochpathogene Viren, wie Ebolavirus oder Marburgvirus, müssen deshalb im BSL-4 Labor im Tiermodell überprüft werden.

Die BSL-3/-4 Animal Facility des BSL-4 Labors ist eine Infrastruktur des Forschungsbereichs „Neu auftretende Infektionskrankheiten“ des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF). Deren Ziel ist es, neu entwickelte Impfstoffe und Medikamente auf ihre Wirksamkeit zu untersuchen. Ist der Impfstoff oder das Medikament in diesen sogenannten präklinischen Studien wirksam, schließen sich klinische Studien mit Menschen an, um Verträglichkeit und Wirksamkeit zu untersuchen. In den Tierstudien der Virologie werden ausschließlich Prophylaxe- oder Therapiemaßnahmen untersucht, die zuvor in Zellkulturstudien eingehend charakterisiert wurden und sich als besonders vielversprechend erwiesen haben. Alle Untersuchungen am Tier oder am Menschen sind genehmigungspflichtig und werden durch die zuständigen Behörden (Regierungspräsidium, Paul-Ehrlich-Institut, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)) überwacht. 

Über der Arbeit mit Tieren steht das 3R-Prinzip von Russel und Burch (Replace, Reduce, Refine). Wann immer möglich, werden Tierversuche durch andere Verfahren ersetzt (Replace). Das Institut für Virologie ist dabei selbst an der Entwicklung von Ersatzmethoden beteiligt. Hierzu zählen unter anderem  besondere Zellkultursysteme oder Organoide. Durch eine detaillierte Planung der Versuche und geeignete statistische Methoden wird gewährleistet, dass nur so viele Tiere im Versuch verwendet werden, wie unbedingt nötig (Reduce). Durch die Wahl geeigneter Abbruchkriterien, die mit Tierschutzbeauftragten und überwachender Behörde erarbeitet wurden, wird die Belastung für die Tiere minimiert. Darüber hinaus werden für das jeweilige Modell spezifische Maßnahmen definiert, die das Wohlbefinden der Tiere während des Versuchs verbessern (Refine). Auch unter Hochsicherheitsbedingungen werden die Tiere so gehalten, dass sie ihre artspezifischen Grundbedürfnisse in gleichem Maße befriedigen können, wie es auch unter Laborbedingungen niedrigerer Sicherheitsstufen möglich wäre.

Forschung zu Pankreastumoren

Krebs stellt verständlicherweise für viele Menschen eine angsteinflößende Erkrankung dar. Jedoch ist Krebs nicht gleich Krebs und es gibt dank Forschungserfolgen mittlerweile Tumorerkrankungen mit relativ guten Behandlungsaussichten. Ganz anders stellt sich die Lage bei bösartigen Tumoren der Bauchspeicheldrüse (dem Pankreaskarzinom, kurz PDAC) dar: Bei diesem Krebs gibt es nach wie vor so gut wie keine Aussicht auf Genesung. Und noch schlimmer, die Häufigkeit nimmt seit Jahren zu und so rechnet man damit dass in ca. 10 Jahren jeder zweite Krebstod auf das Konto dieser Erkrankung gehen wird. Tumore der Bauchspeicheldrüse wachsen „im Verborgenen“ und verursachen lange keine Beschwerden. In Kombination mit dem Fehlen von spezifischen Früherkennungsverfahren und der Eigenschaft des Tumors sehr früh zu streuen und Metastasen zu verursachen, werden die meisten Patient*nnen erst im fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Neuere Therapieansätze, die in anderen Tumorarten erfolgreich waren zeigten sich beim PDAC bisher ausnahmslos ineffektiv, was unter anderem mit der Zusammensetzung des Tumorgewebes zusammen hängt: Das Pankreaskarzinom ist charakterisiert durch eine stark ausgeprägte Bindegewebsreaktion. Dabei wird das normale Gewebe, das den Tumor umgibt, „umprogrammiert“, was wiederum das Tumorwachstum unterstützt und zugleich den Tumor widerstandsfähiger gegenüber Chemotherapie macht. Zudem erschafft der Tumor eine „immunfreie“ Zone, in welcher das patienteneigene Immunsystem unterdrückt wird. Dadurch werden die Krebszellen nicht mehr erkannt und bekämpft. Es bedarf daher intensiver Forschungsanstrengungen, um diese unterschiedlichen Krankheitsvorgänge zu therapieren und dadurch die derzeitige Situation der Patient*nnen zu verbessern.

An der Philipps-Universität Marburg haben sich mehrere Arbeitsgruppen in der „klinischen Forschergruppe 325 (KFO325)“ zusammengefunden um die PDAC-Forschung voran zu treiben. Das Ziel ist das bessere Verständnis der dynamischen und mannigfaltigen Interaktionen zwischen den unterschiedlichen Zellarten, welche das Pankreaskarzinom auszeichnen. Hierdurch sollen neue Diagnoseverfahren und Therapieansätze entwickelt werden. Die Tatsache, dass die komplexe Mikroumgebung des Tumors (das „Tumorstroma“) beim PDAC eine zentrale Rolle spielt, macht es schwierig, aus einfachen Zellkulturen klinisch verwertbare Voraussagen treffen zu können.

Daher verwenden Forschungsgruppen der KFO325 fortgeschrittene Zellkulturmodelle aus mehreren Zellarten (sog. „Co-Kulturen“) oder sogenannte Organoide. Bei Organoiden handelt es sich um dreidimensionale Kulturen von Tumorzellen unter ganz bestimmten Bedingungen, die es erlauben die zellulären Eigenschaften des Originaltumors deutlich besser im Labor nachzustellen als dies mit konventionellen Methoden möglich ist. Obwohl diese Technologie einen signifikanten Fortschritt darstellt, müssen die einzelnen Wechselwirkungen mit Immunzellen oder Bindegewebszellen auch hier in definierten Experimenten nachgestellt werden, was nicht immer möglich ist.

Aufgrund der Komplexität der Wechselwirkungen greifen die ForscherInnen daher häufig auf Lebendmodelle zurück. Hier hat sich über Jahre die Maus als Tiermodell etabliert, da viele Vorgänge denen beim Menschen ähnlich sind. Zusätzlich werden viele weitere experimentelle Systeme genutzt, auch mit dem Ziel, die etablierten Modelle zu verfeinern und Tierversuche zu reduzieren beziehungsweise zu ersetzen. Eine solche Möglichkeit besteht beispielsweise darin, Tumororganoide zusammen mit Bindegewebszellen der Bauchspeicheldrüse (sog. pankreatischen Sternzellen) auf befruchtete Hühnereier zu transplantieren. Dieses Verfahren ist als CAM (Chorio-Allantoin-Membran)-Assay bekannt. Innerhalb weniger Tage wächst auf der Hühnereimembran ein Tumor aus Krebszellen, Bindegewebe und Blutgefäßen, welcher für zahlreiche Untersuchungen inklusive Medikamentengabe zugänglich ist.

Ein weiteres Verfahren stellt die Kultivierung von Gewebeschnitten aus Gewebe von Patient*innen oder Mäusen dar. Diese Gewebeschnitte können etwa eine Woche im Brutschrank am Leben erhalten werden und sind für Behandlungen mit z.B. neuen Medikamenten gut geeignet. Die großen Vorteile dieses Verfahrens sind die Möglichkeit mit Lebendgewebe zu arbeiten, die erhaltene intakte Tumormikroumgebung, und die direkte Zugänglichkeit des Tumors für neue medikamentöse Therapien.

Fortschritte in modernen Bildgebungsverfahren haben die Möglichkeiten erweitert, mehr und detailliertere Informationen aus Tierversuchen zu gewinnen, sodass aus einem einzelnen Tierversuch deutlich mehr Erkenntnisgewinn zu verzeichnen ist als dies früher der Fall war. Dies führt ebenfalls dazu, die Zahl der Tierversuche zu verringern.

Zusammengenommen lässt sich konstatieren, dass das Pankreaskarzinom aufgrund seiner zellulären Komplexität noch nicht ohne Versuche an Lebendorganismen verstanden werden kann. Für klinisch erfolgreiche Fortschritte werden daher Tierversuche in der einen oder anderen Weise in Kauf genommen. Dennoch versucht die KFO325 durch die Anwendung neuer Technologien auf allen Ebenen, diese zu optimieren, zu reduzieren und, wenn möglich, auch ganz zu ersetzen, mit dem Ziel einer besseren Behandlung für Tumorpatient*nnen.