Hauptinhalt
Tierversuche im Fachgebiet Neurophysik
Eine der wichtigsten Aufgaben des zentralen Nervensystems besteht darin, herauszufinden, wo sich Objekte im Raum befinden. Wir sehen zum Beispiel, wo vor uns auf dem Frühstückstisch die Kaffeetasse steht. Dies ist jedoch nur eine Momentaufnahme, denn die Lage des Bildes der Tasse auf der Netzhaut verschiebt sich mit jeder Bewegung der Augen oder des Körpers. Wo also genau befinden sich Objekte in der Welt? Und welche Signale helfen uns, zielgerichtet Objekte anzuschauen, sie durch Eigenbewegung anzusteuern oder ihnen auszuweichen, wenn sie ein Hindernis darstellen. Mit diesen Fragen beschäftigen sich die Arbeiten der AG Angewandte Physik und Neurophysik. Die Forschenden setzen dabei sehr unterschiedliche experimentelle und computer-gestützte Methoden ein: von Zellableitungen am Tiermodell (wacher, trainierter Rhesusaffe) über EEG-Messungen bei Menschen und Rhesusaffen und Verfahren der künstlichen Intelligenz bis hin zu Verhaltens- und Bildgebungs-Studien bei Menschen, bei gesunden Versuchspersonen und neurologischen (Morbus Parkinson) oder psychiatrischen Patientinnen und Patienten (Schizophrenie).
In zahlreichen Arbeiten der letzten zwei Jahrzehnte konnte die AG die Übertragbarkeit der Ergebnisse vom Rhesusaffen auf die Verarbeitung im Gehirn des Menschen und umgekehrt nachweisen. So konnte die Gruppe mit Hilfe von funktioneller Kernspintomographie (fMRT) zeigen, dass ein Areal zur multisensorischen Kodierung von Bewegung, das zuvor beim Rhesusaffen entdeckt worden war, auch im menschlichen Cortex existiert (Bremmer et al., 2001).1 In einer Reihe von Studien konnte gezeigt werden, dass die neuronale Aktivität im Parietalcortex des Rhesusaffen die durch Augenbewegungen verursachte kurzzeitige Veränderung der Raumwahrnehmung von Menschen erklären kann (Krekelberg et al., 2003; Bremmer et al., 2009; Morris et al., 2012).2, 3, 4 Zudem konnten Ergebnisse von Ableitexperimenten am Rhesusaffen in Kombination mit Computer gestützter Modellierung eine zuvor nicht bekannte visuelle Illusion beim Menschen korrekt vorhersagen (Bremmer et al., 2017).5 In einer Studie mittels EEG beim Menschen und beim Rhesusaffen konnten gezeigt werden, dass das Gehirn während Eigenbewegung durch einen Raum vorhersagt, in welche Richtung wir uns wenig später bewegen werden. Weicht dann die tatsächliche Richtung von der Vorhersage ab, führt dies zu erhöhter Aktivität im Gehirn. So kann bei Bedarf die Bewegungsrichtung schnellstmöglich angepasst werden (Schmitt et al., 2021),6 beispielsweise um Kollisionen zu vermeiden.
Inhalt ausklappen Inhalt einklappen Literaturhinweise
1 Bremmer, F., Schlack, A., Shah, N. J., Zafiris, O., Kubischik, M., Hoffmann, K.-P., et al. (2001). Polymodal motion processing in posterior parietal and premotor cortex: a human fMRI study strongly implies equivalencies between humans and monkeys. Neuron 29, 287–296. doi: 10.1016/S0896-6273(01)00198-2.
2 Krekelberg, B., Kubischik, M., Hoffmann, K.-P., and Bremmer, F. (2003). Neural correlates of visual localization and perisaccadic mislocalization. Neuron 37, 537–545. doi: 10.1016/S0896-6273(03)00003-5.
3 Bremmer, F., Kubischik, M., Hoffmann, K.-P., and Krekelberg, B. (2009). Neural Dynamics of Saccadic Suppression. J.Neurosci. 29, 12374–12383. doi: 10.1523/JNEUROSCI.2908-09.2009.
4 Morris, A. P., Kubischik, M., Hoffmann, K.-P., Krekelberg, B., and Bremmer, F. (2012). Dynamics of Eye-Position Signals in the Dorsal Visual System. Curr. Biol. 22, 173–179. doi: 10.1016/j.cub.2011.12.032.
5 Bremmer, F., Churan, J., and Lappe, M. (2017). Heading representations in primates are compressed by saccades. Nat. Commun. 8, 920. doi: 10.1038/s41467-017-01021-5.
6 Schmitt, C., Schwenk, J. C. B., Schütz, A., Churan, J., Kaminiarz, A., and Bremmer, F. (2021). Preattentive processing of visually guided self-motion in humans and monkeys. Prog. Neurobiol. 205, 102117. doi: 10.1016/J.PNEUROBIO.2021.102117.