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Fragen und Antworten zu Tierversuchen

  • Was ist ein Tierversuch?

    Ein Tierversuch ist ein Experiment an oder mit lebenden Tieren. Ziele von Tierversuchen sind beispielsweise Erkenntnisgewinn in der Grundlagenforschung sowie die Entwicklung und Erprobung neuer medizinischer Therapiemöglichkeiten. Tierversuche werden in Lebenswissenschaften durchgeführt, um zum Beispiel physiologische Auswirkungen von unbekannten Substanzen zu medizinschen Behandlungen, Ursachen von Krankheiten oder grundlegende Vorgänge im Körper zu verstehen.

    Das deutsche Tierschutzgesetz definiert Tierversuche als Eingriffe an Tieren, wenn diese mit Schmerzen, Leiden oder Schäden für die Tiere verbunden sein können. Dies gilt für jedes Verfahren, bei dem Tiere einer Belastung ausgesetzt werden, die „dem eines Kanüleneinstichs gemäß guter tierärztlicher Praxis gleichkommt oder darüber hinausgeht“ (Artikel 3, 2010/63/EU). Das deutsche Tierschutzgesetz schützt das Leben und Wohlbefinden von Tieren und stellt sicher, dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt. Ein Tierversuch kann daher nur nach kritischer Prüfung und Genehmigung durch die Behörde durchgeführt werden. Die Bedingungen dafür regelt das Tierschutzgesetz ( vor allem §6a-10). Der Schutz erstreckt sich auf alle Wirbeltiere, Kopffüßler wie zum Beispiel den Oktopus und Zehnfußkrebse, zu denen der Hummer zählt.

  • Warum sind Tierversuche notwendig?

    Sehr viele relevante wissenschaftliche Fragestellungen lassen sich immer noch nicht ohne Tierversuche beantworten. So ist die Messung der Aktivität einzelner Hirnzellen beim Menschen nur beim Vorliegen einer medizinischen Indikation und damit bei Krankheit möglich. EEG-basierte Verhaltensstudien bei Menschen geben zwar darüber Aufschluss, wie das gesamte Gehirn Informationen verarbeitet, können diese Verarbeitungsschritte aber nicht spezifischen Gehirnregionen zuweisen. In anderen Bereichen, zum Beispiel bei der Entwicklung von Impfstoffen, sind Tierversuche vorgeschrieben.

    Tierversuche in der Forschung:
    Die meisten Tierversuche an der Universität Marburg finden in der Forschung statt (97 Prozent). Zum Einsatz kommen vor allem Mäuse und Ratten, aber z. B. auch Zebrafische, Frösche und Rhesusaffen. Das Forschungsspektrum reicht von der Grundlagenforschung bis hin zur Entwicklung von Therapien. In der Grundlagenforschung werden beispielsweise Therapieansätze zur Behandlung bestimmter Tumoren erforscht. In der Impfstoffentwicklung werden Therapieansätze zur Behandlung von neu auftretenden Infektionskrankheiten beim Menschen untersucht. Dabei dienen vor allem Mäuse als Modellorganismen.

    Tierversuche in der Lehre:
    Überall, wo es möglich ist, wird in der Lehre auf Tierversuche verzichtet. Stattdessen werden Computersimulationen, Bild- und Videomaterial oder Modelle eingesetzt. In einigen Bereichen ist es jedoch (noch) nicht möglich, in der Lehre vollständig auf Tierversuche zu verzichten.  Der Einsatz von Tieren für die Aus-, Fort- und Weiterbildung unterliegt dem Genehmigungsverfahren und durchläuft alle Prozesse wie ein wissenschaftlicher Tierversuch.

    In Kern- und Fachmodulen der Biologie werden den Studierenden der Biologie und des Lehramtes Biologie Kenntnisse in der Anatomie, Histologie und Physiologie an Tierpräparaten und lebenden Tieren vermittelt. Die Dozentinnen und Dozenten reduzieren den Einsatz von Tieren gemäß § 21 Abs. 2 und 3 HHG so weit wie möglich. Es werden daher in den morphologisch-anatomischen Kursen unter anderem fixierte Präparate eingesetzt. Bei den Ratten und Mäuse handelt es sich um nicht mehr genutzte Zuchttiere aus dem Bestand der Philipps Universität.

    Der Einsatz von Tieren für die Aus-, Fort- und Weiterbildung unterliegt dem Genehmigungsverfahren und darf somit nur nach kritischer Prüfung und Genehmigung durch die Behörde erfolgen.

    Das Wohlergehen der Tiere steht bei allen Bereichen, in denen Tierversuche durchgeführt werden, immer im Mittelpunkt. Die Tiere werden von qualifiziertem Personal versorgt und stehen unter regelmäßiger tierärztlicher Betreuung.

  • Wer entscheidet über die Durchführung von Tierversuchen?

    Jeder Tierversuch muss unter Einbeziehung der Tierschutzbeauftragten der Universität bei der zuständigen Behörde beantragt werden. Das Grundprinzip eines solchen Antrags ist das folgende: Im Antrag muss erläutert werden, was erforscht werden soll, warum dazu Experimente an Tieren nötig sind und was der mögliche Nutzen dieser Forschung ist. Alle Experimente müssen im Detail beschrieben werden. Teil der Ausführungen ist auch, ob bzw. in welchem Umfang bei den Tieren Stress oder Schmerzen entstehen können. Im Anschluss erfolgt eine ethische Abwägung, bei der Nutzen und mögliche Schäden gegeneinander abgewogen werden (3R-Prinzip, Replacement, Reduction, Refinement).

    In Hessen sind für die Genehmigung von Tierversuchen die Regierungspräsidien zuständig. In Marburg muss jedes Vorhaben durch die Tierärztinnen und Tierärzte des Regierungspräsidiums Gießen genehmigt werden. Der Genehmigungsprozess wird durch ein beratendes Fachgremium nach §15 Tierschutzgesetz (Tierschutzkommission) begleitet. Neben Expertinnen und Experten aus der Tiermedizin, der Medizin und/oder einer naturwissenschaftlichen Fachrichtung sind mindestens ein Drittel der Kommissionsmitglieder von Tierschutzorganisationen benannt. 

    Bevor Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch einen Antrag beim Regierungspräsidium einreichen, findet immer eine intensive Beratung und Prüfung durch die Tierschutzbeauftragen der Philipps-Universität Marburg statt. Die Tierschutzbeauftragten achten dabei neben der Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen vor allem auch darauf, dass dem Tierwohl Rechnung getragen wird.

  • Wer überprüft Tierversuche?

    Erst nach der Genehmigung eines Tierversuchs durch das Regierungspräsidium Gießen darf mit dessen Durchführung begonnen werden. Alle Eingriffe müssen dabei sehr detailliert dokumentiert werden, der Gesundheitszustand der Tiere wird engmaschig überwacht. Die Durchführung des Tierversuchs ebenso wie dessen Dokumentation wird dabei vom Regierungspräsidium Gießen kontrolliert. Auf die Einhaltung aller gesetzlichen Bestimmungen und Genehmigungsvorgaben achten überdies die Tierschutzbeauftragten und der Tierschutzausschuss der Philipps-Universität Marburg.

  • Wer darf Tierversuche durchführen?

    Die Richtlinie 2010/63/EU und das deutsche Tierschutzgesetz schreiben für die eigenständige wissenschaftliche Arbeit mit Tieren eine entsprechende Sachkunde vor. Daher muss jede Person, die im Tierversuch mitarbeitet, dem Regierungspräsidium und den Tierschutzbeauftragten der Philipps-Universität Marburg die erforderliche Sachkunde nachweisen. Neben dem Abschluss eines naturwissenschaftlichen/medizinischen Studiums oder einer Berufsausbildung (z.B. Tierpfleger*in) müssen spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten in der Pflege, der Haltung und dem Umgang mit Tieren, den experimentellen Methoden (z.B. Blutentnahmen, Injektionen oder operative Eingriffe) sowie im sachgerechten Töten von Tieren nachgewiesen werden. Um Mitarbeiter*innen der Philipps-Universität den Erwerb der Sachkunde zu ermöglichen, werden Aus- und Fortbildungsmaßnahmen angeboten, in denen die Teilnehmer*innen einen sicheren und schonenden Umgang mit Versuchstieren erlernen und die erforderlichen theoretischen und praktischen Kenntnisse erwerben.

    Um in der versuchstierkundlichen Ausbildung den Einsatz von Tieren zu minimieren, werden die Auszubildenden mit der Internetplattform LAS interactive auf die Praxis vorbereitet. Videomaterial, das den Umgang mit Tieren und die verschiedenen Techniken vermittelt, wird den Teilnehmenden als Vorbereitung zur Verfügung gestellt. LAS interactive wurde vom BMBF und der DFG gefördert. Außerdem ist das 3 R-Prinzip (Replace, Reduce und Refine - Vermeiden, Verringern und Verbessern) ein essenzieller Bestandteil der Ausbildung.

  • Was ist das 3 R-Prinzip?

    Obwohl in der Forschung nicht vollständig auf Tierversuche verzichtet werden kann, besteht Konsens darüber, dass sie auf ein notwendiges Minimum zu beschränken sind. Als Richtlinie gilt das 3 R-Prinzip, das von Russel und Burch 1959 veröffentlicht wurde, und das für die drei Begriffe replacement (Vermeidung), reduction (Verringerung) und refinement (Verbesserung) steht. Ziel ist es, Tierversuche wenn möglich zu vermeiden, die Zahl der Tiere in Versuchen zu reduzieren und ihre Belastung auf das unerlässliche Maß zu beschränken. Die konsequente und verantwortungsvolle Umsetzung des 3 R-Prinzips trägt ethischen Bedenken gegen die Verwendung von Tieren Rechnung und verbessert darüber hinaus die Qualität der Versuchsergebnisse.

  • Werden Tierversuche auch für Kosmetika durchgeführt?

    Bereits seit 1998 sind Tierversuche um Kosmetika zu prüfen in Deutschland verboten. Seit 2004 dürfen innerhalb der EU keine Tierversuche mehr für kosmetische Fertigprodukte durchgeführt werden. Seit Juli 2013 gilt zudem die Beschränkung, dass innerhalb der EU keine Tierversuche zur Prüfung von Inhaltsstoffen von Kosmetika durchgeführt werden dürfen.

  • Welche alternativen Methoden zu Tierversuchen bietet die Uni Marburg an?

    Tierversuche dürfen nur dann durchgeführt werden, wenn keine tierfreien Methoden zur Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellung existieren und Lehrinhalte nicht anders als unter Verwendung von Tieren vermittelt werden können. Überall dort, wo heute schon auf Tierversuche verzichtet werden kann, wird dies an der Philipps-Universität Marburg auch getan. Die Universität Marburg arbeitet dabei im Zuge des Forschungscampus' Mittelhessen eng zusammen mit dem 3 R-Zentrum an der JLU Gießen

    In der studentischen Lehre werden bereits jetzt die allermeisten Tierversuche ersetzt, zum Beispiel durch Computersimulationen, die Nutzung von Phantomen, Simulatoren und Organmodellen. Der Fachbereich Medizin hat für die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten das Maris Skills Lab aufgebaut, in dem Studierende an Phantomen und Modellen Fertigkeiten für die berufliche Praxis erlernen können.

    Die Philipps-Universität Marburg forscht im Zusammenhang mit dem 3R-Prinzip - „Reduction, Refinement, Replacement“, Verminderung, Verfeinerung, Ersatz von Tierversuchen – intensiv an der Verringerung von Tierversuchen, zum Beispiel in der Krebsforschung, in der durch den Einsatz der Genschere CRISPR edie Zahl von Versuchstieren erheblich reduziert werden konnte. Für die Verdienste um die Schonung von Versuchstieren erhielt die Professur für Molekulare Onkologie schon 2014 den Hessischen Tierschutzpreis.

    Zudem ist die Universität Marburg am Aufbau der Webseite 3R-SMART, einer Schulungsplattform für methodische Ansätze zur Reduktion von Tierversuchen, beteiligt. Dieses Projekt ist BMBF gefördert.

  • Wie viele Versuchstiere werden pro Jahr eingesetzt?

    Zahl der Versuchstiere an der UMR 2021

    Für das Jahr 2021 wurden im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Versuchstiermeldung 13.333 Tiere an das Regierungspräsidium Gießen übermittelt.

    Tierart Anzahl Tiere
    Mäuse 6134
    Ratten 220
    Meerschweinchen 14
    Hamster 15
    Kaninchen 7
    Primaten 1
    Krallenfrösche 469
    Zebrafisch 6265
    Karpfen 50
    Hühner 22
    Wildtiere:
    Waschbären 1
    Fledermäuse 42
    Singvögel/Greifvögel 93
    Insgesamt 13.333

    Zur Einordnung der hier aufgeführten Zahlen:

    In Deutschland werden jährlich etwas weniger als 3 Millionen Tiere als Versuchstiere eingesetzt. Hessenweit wurden im Jahr 2021 ungefähr 300.000 Versuchstiere verwendet. Eine Navigationshilfe für die Vielzahl von Daten zu Tierversuchen findet sich in der Broschüre "Kompass Tierversuche" der Initiative Tierversuche verstehen.

  • Was passiert mit den Tieren nach der Versuchszeit?

    Was mit den Tieren nach der Versuchszeit geschieht, ist sehr unterschiedlich. Viele Tiere in der biomedizinischen Forschung werden im Rahmen eines Tierversuchs für die Untersuchungen schmerzfrei getötet. Wenn Tiere - wie Primaten - in der Grundlagenforschung für Verhaltensuntersuchungen verwendet werden, leben sie mehrere Jahre in einer Forschungsinstitution. Sie werden lange trainiert und wiederholt für diese Versuche eingesetzt. Am Ende werden manche dieser Tiere eingeschläfert und Ihre Organe anderen Arbeitsgruppen bundesweit zur Verfügung gestellt. Andere werden anderen Instituten für weitere Studien übergeben.

    Tiere, die in der Forschung zum Naturschutz eingesetzt werden, sind hauptsächlich freilebende Tiere wie Fledermäuse und Vögel, die im Rahmen von Freilandstudien untersucht werden. Diese Tiere werden nach einer kurzen Begutachtung und Registrierung sofort wieder in die Natur entlassen. Sender, die zwischen den Flügeln befestigt wurden, fallen nach einiger Zeit ab, und das Tier lebt ungestört weiter.