25.11.2024 Aktiv gegen rechte Menschenfeindlichkeit

Sorge wegen Rechtsdrift: ver.di-Betriebsgruppe schrieb an die demokratischen Parteien vor Ort

Foto: Johannes Scholten
Die anhaltende Rechtsdrift in der Bundesrepublik ruft Gegenkräfte auf den Plan, so bei den Großdemonstrationen Anfang 2024, etwa in Gießen.

Die ver.di-Betriebsgruppe an der Philipps-Universität hat sich mit einem Brief an die lokalen Parteien des demokratischen Spektrums gewandt, um eine klare Alternative zu rechter Politik anzumahnen. Das Schreiben im Wortlaut:

"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die ver.di‐Betriebsgruppe an der Philipps‐Universität ist eine gewerkschaftliche Interessenvertretung in einem der größten Landesbetriebe Hessens. In unserer Betriebsgruppe sind Kolleg*innen aus allen Bereichen des universitären Lebens organisiert, von Hausmeister*innen über Sekretär*innen und Laborpersonal bis hin zu Professor*innen. Universitäres Leben und Arbeiten setzen Weltoffenheit, Neugier und Toleranz voraus. An der Hochschule haben wir täglich mit Kolleg*innen zu tun, deren biografischer oder familiärer Erfahrungshintergrund über Hessen, die Bundesrepublik und Europa hinausreicht.

Selbstverständlich hat sich die Betriebsgruppe aktiv an den jüngsten Kundgebungen gegen die sich beschleunigende Rechtsdrift beteiligt. Umso enttäuschter sind wir von der kopflosen und kontraproduktiven Reaktion der demokratischen Parteien auf die Wahlerfolge der AfD. In einem Überbietungswettbewerb um die schlagzeilenträchtigsten Parolen gegen Einwanderung finden die demokratischen Parteien nicht die Kraft für eine Politik, die die tatsächlichen Probleme in den Griff bekommt.

Dabei liegen die dringendsten Handlungsfelder auf der Hand. Hier ein paar wenige Beispiele, mit denen wir in der gewerkschaftlichen Praxis konfrontiert sind:

  • Durch hohe und weiter steigende Mieten ins Umland abgedrängt, wo es kaum öffentlichen Nahverkehr gibt, sind unsere Kolleg*innen auf das Auto angewiesen, um zur Arbeit zu kommen – von Verkehrswende keine Spur.
  • Weil mehr und mehr Stellen unbesetzt bleiben, was zusätzliche Arbeitsbelastung für die Belegschaft hervorruft, kommt es immer öfter zu Kündigungen seitens der Unibeschäftigten, die anderswo bessere Arbeitsbedingungen zu finden hoffen. Doch statt den Personalmangel durch bessere Arbeitsbedingungen und die schnelle Integration ausländischer Fachkräfte in den Arbeitsmarkt zu bekämpfen, überbieten sich die Parteien mit Vorschlägen zur Abschottung des Arbeitsmarktes.
  • An den Schulen fehlen Lehrkräfte, auf dem Land mangelt es an ärztlicher Grundversorgung, doch statt die Ausbildung des medizinischen und pädagogischen Nachwuchses an den Hochschulen nach Kräften zu fördern, setzt die Landespolitik in Hessen auf Kürzungen bei der Bildung im laufenden Haushaltsjahr.

Überlastete Kliniken, Tarifflucht, marode Schul‐ und Hochschulbauten, ein unter Druck stehendes Renten‐ und Sozialsystem – die Liste der Probleme ist lang. Doch kaum eines davon findet sich in der derzeitigen politischen Debatte.

Stattdessen geht es in der Bundespolitik, nicht erst seit dem Anschlag von Solingen, fast ausschließlich um die Abschreckung von Geflüchteten statt um Zuwanderung in den Arbeitsmarkt; um Zurückweisung und Abschiebung statt um sichere Zugangswege für Verfolgte; um vermeintlich unüberwindliche Hindernisse der Integration statt um Unterstützung bei der Eingliederung, damit Menschen auf der Flucht in der Bundesrepublik heimisch werden.

Das belegen die jüngsten politischen Entscheidungen:

  • Kontrollen an allen Außengrenzen der Bundesrepublik,
  • Abschiebungen selbst in Länder wie Afghanistan,
  • Inhaftierung von Geflüchteten in Grenznähe,
  • Rücknahmeabkommen mit Staaten fragwürdiger Stabilität und Rechtsstaatlichkeit,
  • Leistungskürzungen für Asylsuchende

Die migrationspolitische Bilanz der demokratischen Parteien liest sich wie das Programm zum Umbau der Republik in eine völkische Gemeinschaft. Die Politik zeigt sich dabei unbeeindruckt von den Mahnungen der Fachleute, selbst des Sachverständigenrates für Integration und Migration der Bundesregierung.

Die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt: Die demokratischen Parteien vergrößern mit ihrer epigonalen Politik den Resonanzraum für die menschenfeindliche Propaganda von rechts. Rechtsradikalismus entsteht nicht aus dem Nichts; den Boden dafür bereiten diejenigen, die in ihrem Alltagsgeschäft die soziale Ungleichheit verschärfen, autoritäre Politik betreiben, die Rechte von Arbeitnehmer*innen unter Beschuss nehmen, die Festung Europa ausbauen und Gleichstellungserfolge in Frage stellen. Ein Großteil der Politik hat jahrzehntelang durch Sozialabbau, durch kaum verhohlene Hetze gegen Arbeitslose, durch die fortschreitende Aushöhlung des Grundrechts auf Asyl, durch obrigkeitsstaatliche Angriffe auf Freiheitsrechte und durch eine menschenverachtende Migrationspolitik ein Klima geschaffen, das rechte Menschenfeinde ermutigen musste; immer wieder schürt das politische Spitzenpersonal in Wahlkämpfen schamlos Ressentiments.

Was können Sie tun, um diese Probleme anzugehen? Wir wollen nicht behaupten, die Antworten auf alle Probleme der aktuellen Zeit zu haben, denn die haben auch wir nicht.

Was wir haben, ist Expert*innenwissen aus unserem Feld. Wenn Sie wissen wollen, was getan werden müsste, damit die Arbeitsbedingungen an den hessischen Hochschulen besser werden, so dass sich Kolleg*innen nicht mehr wegbewerben, dann kommen Sie auf uns zu.

Was wir haben, sind aktive Kolleg*innen, die sich gemeinsam für eine sozial gerechte, klimagerechte, geschlechtergerechte und demokratische Zukunft stark machen. Wenn das nach einer Welt klingt, für die Sie sich einsetzen wollen, dann finden Sie bei uns Verbündete.

Was wir wissen ist, dass wir nicht die Einzigen sind. Es gibt viele zivilgesellschaftliche Organisationen in der Bundesrepublik, die sich konstruktiv für eine lebenswerte, demokratische Zukunft einsetzen. Auch sie werden mit Sicherheit ihre jeweilige Expertise mit Ihnen teilen.

Wir hoffen, dass Sie unser Schreiben als ein Zeichen sehen, dass es nicht nur die rechten Schreihälse sind, die sich ein Umsteuern in der Politik wünschen. Als ein Zeichen, dass die Menschen, die Anfang des Jahres gegen den Rechtsruck auf die Straße gegangen sind, noch immer da sind, auch wenn wir nicht den ganzen Tag auf Social Media verbringen, um irgendwie Aufmerksamkeit zu erheischen. Wir sind immer noch da und wir arbeiten in den Betrieben, in der Gewerkschaft und in unserem Umfeld an einer demokratischen Zukunft, auch wenn das vielleicht nicht so sichtbar ist wie die rechte Hetze in den Kommentarspalten.

Und wir hoffen, dass sie unser Schreiben als Anlass nehmen, aktiv zu werden, gegen diese einfachen, menschenfeindlichen Lösungen, die versuchen, alle Probleme dieser Gesellschaft den Geflüchteten anzulasten. Stellen Sie sich auch in Ihrer Partei an die Seite derer, die die wirklichen Probleme in ihrer Komplexität angehen und bewältigen wollen, anstatt einen Sündenbock für alles verantwortlich zu machen.

Wir sind gespannt auf Ihre Antwort und kommen gerne mit Ihnen ins Gespräch."