19.01.2023 Mitkämpfen statt abwandern
Die Frist läuft ab: Hunderte Betroffene demonstrierten in ganz Hessen gegen prekäre Arbeit in der Wissenschaft
Sogar die Sonne kam raus, wenn auch nur befristet (ganz schnell war es wieder bewölkt). Wichtiger waren aber die gut hundert jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die am 17. Januar 2023 vorm zentralen Marburger Hörsaalgebäude gegen die überbordende Befristungspraxis an der Uni protestierten, unterstützt von Studierenden und Verwaltungsleuten. Sie alle folgten einem Aufruf der Gewerkschaften ver.di und GEW, genau wie an etlichen anderen Hochschulstandorten in ganz Hessen. „Tempo machen bei Entfristung!“, lautete die Forderung auf den mitgeführten Transparenten.
Den Anlass der Kundgebungen boten die Gespräche, die ver.di und GEW an demselben Tag mit dem hessischen Wissenschaftsministerium (HMWK) führten. Das Thema der Konsultationen bildete die gängige Praxis, dem Wissenschaftsnachwuchs jahrelang befristete Jobs zuzumuten; 80 Prozent und mehr der Stellen in Forschung und Lehre an den hessischen Universitäten sind befristet. Bei den Tarifverhandlungen 2021 vereinbarte das Land Hessen mit den Gewerkschaften Gespräche mit dem Ziel, die Zahl der unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse auszubauen.
„Das Thema ist in der Hochschulpolitik angekommen“, erklärte der Marburger Gewerkschafter Mathis Heinrich von ver.di. "Das HMWK muss darauf hinwirken, dass die Universitäten die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse vermindern." Er unterstrich außerdem, dass die Gewerkschaften an Verhandlungen zwischen Hochschulen und dem Land über verbindliche Ziele zu beteiligen seien.
„Die Gespräche mit dem Ministerium liefen leider erwartungsgemäß im Ausgang ernüchternd“, berichtet Gabriel Nyč, der stellvertretende Leiter des hessischen Landesfachbereichs Gesundheit, soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft. „Das Wissenschaftsministerium sieht bei den geplanten Zielen keinen Nachbesserungsbedarf.“
Doch auf Dauer wird Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn das Übel der maßlosen Befristungspraxis nicht ignorieren können, wenn die Betroffenen ihre Interessen weiterhin so wirkungsvoll öffentlich demonstrieren wie Mitte Januar. Nicht nur in Marburg fanden die Protestkundgebung der Gewerkschaften regen Zulauf, sondern zeitgleich in Darmstadt, Frankfurt, Kassel und Fulda. Auch die Studierendenschaft bekundete ihre Solidarität – schließlich beruhen die Studienbedingungen auf den Arbeitsbedingungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Wenn die Betroffenen zusammenhalten und weiter Druck machen, sollte eine Quote von 50 Prozent unbefristeter Stellen in Forschung und Lehre kein unerreichbares Ziel sein. Schließlich können auch Hochschulen und Politik kein Interesse daran haben, dass qualifizierte junge Leute abwandern, weil sie keine Zukunft in prekärer Beschäftigung in der Wissenschaft sehen.