07.11.2022 Unterwegs auf schwankendem Boden
Das gute Leben lockt: Die diesjährige Wanderung der ver.di-Betriebsgruppe führte auf den Christenberg
Wozu die ganze Mühe? Was soll das Engagement in Gremien, bei Verbandstreffen, Kundgebungen und Streikaktionen? Im Hintergrund von Arbeitskampf, Alltagsärger und Gewerkschaftsaktivitäten schimmert eine Vorstellung davon durch, wie das gute Leben aussehen müsste.
Bilder von Wald und Wiesen steigen dann auf, von buntem Herbstlaub in goldenem Oktoberlicht, von üppigem Grün wohl auch und Erdfarben, hie und da mit farbigen Tupfen durchsetzt; ungezwungene Grüppchen finden sich zusammen, lösen sich auf und bilden sich neu, alle lauschen und lernen, bis sie sich vorm weiten Panorama zu gemeinschaftlicher Rast und Imbiss zusammenfinden und das Erlebte nachklingen lassen. Scherzworte fliegen von einer zum andern, Lachen verhallt knfzl prrisslslt ngngn ich habe gerade keinen Empfang. Ja, so müsste es sein, das gute Leben.
„Schön war’s“, das will man von den Kolleginnen und Kollegen hören. Am Sonntagabend, die diesjährige Wanderung der ver.di-Betriebsgruppe war gerade mal ein paar Stunden vorüber, da flitschten, flodderten die Schnappschüsse schon durch den Gruppenchat: Gestandene Gewerkschafterinnen in Funktionskleidung, Kollegen mit Rucksäcken bepackt und Kameradinnen mit Kameras bewaffnet, wie sie im Burgwald herumstehen und die Naturführerin umringen. Mitte Oktober bot die Wanderung der Betriebsgruppe auf den Christenberg die Gelegenheit, das gute Leben einmal auszuprobieren.
Anne Archinal von der Initiative „Rettet den Burgwald“ begleitete die Gruppe auf dem Weg und lieferte sachkundige Erläuterungen. Sie berichtete von den Anfängen des Burgwaldvereins, der den Wald erfolgreich vor der Abholzung für den Bau der A4 bewahrte – ein Schicksal wie jüngst beim Danneröder Forst blieb dem Burgwald erspart. Im dem weitläufigen, weitgehend unzerschnittenen Waldgebiet fühlen sich etliche Zuwanderer aus anderen Regionen wohl, die für eine einzigartige Mischung sorgen: Archinal erwähnte die arktische Smaragdlibelle aus dem Norden, den Raufußkauz aus dem Osten, die Echte Arnika aus dem Süden.
Aber der Burgwald bleibt weiter bedroht, auch wenn die Gefahren heute anderswo lauern. Der Wasserreichtum des Gebiets hat Begehrlichkeiten aus dem Großraum Frankfurt geweckt, das Waldgebiet droht ausgesaugt zu werden. Archinal erklärte die Bedeutung der Mooranteile im Burgwald, die der Atmosphäre viel mehr CO2 entziehen als der Wald. „Moore sind die Klimaschützer Nummer Eins“, konstatierte die promovierte Geologin.
Sie führte die Gruppe über weichen Moorboden, der bei jedem Schritt unter den Füßen nachgibt, und wies auf den raren Rippenfarn hin, der hier „fast wie Unkraut“ wuchere. Sie zeigte den Beteiligten, wo der Bärlapp als uraltes Überbleibsel der Erdgeschichte wächst, und erzählte von Ortsterminen mit Fachleuten vom Forstamt, in denen ums Fällen der Bäume gerungen wird: Welche Arten saugen zu viel Wasser aus dem Untergrund? Wie viele Bäume werden als Schattenspender gebraucht, um eine Austrocknung des Moorbodens in regenarmen und heißen Jahren zu verhindern?
Die Wanderung lieferte also ausreichend Gesprächsstoff für die anschließende Brotzeit im Waldgasthof Christenberg. Es blieb nicht beim Reden: Werner Bachmann vom Marburger Ortsverein der Naturfreunde, der die Burgwaldführung organisiert hatte, konnte neue Interessierte für seine Verbandsarbeit gewinnen. Und der herumgereichte Hut brachte eine runde Summe für den Burgwaldverein zusammen. Denn das gute Leben will gemeinsam errungen sein.
Naturfreunde Marburg: www.naturfreunde.de/ortsgruppe/ortsgruppe-marburg
AG Rettet den Burgwald: www.ag-burgwald.de