12.05.2022 Uni trifft Zukunft: Studieren in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen - Ein Rückblick auf die Kick-Off-Veranstaltung des MarSkills-Studienbereichs
Unter dem Motto „Transdisziplinarität und ihre Rolle in Studium und Wissenschaft“ informierten sich und diskutierten am 29.04.2022 rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Studierenden- und Lehrendenschaft in einer hybriden Veranstaltung im Rahmen von Vorträgen und Diskussionen über die neuen Möglichkeiten im Studium.
Hintergrund der Veranstaltung war die neue Studienstrukturreform, die es Studierenden ab dem WiSe 2022/23 ermöglicht, in den überfachlichen Kompetenzmodulen des neu eingerichteten MarSkills-Bereich sog. „Future Skills“ zu erwerben: „Um Studierende fit für die Gesellschaft und Arbeitswelt von Morgen machen, bedarf es übergeordneter Kompetenzen wie Kritisches Denken, Ethischer Kompetenz oder Digital Literacy. Der nun strukturell verankerte MarSkills-Bereich schafft eine institutionelle Basis dafür, dass Studierende in fächerübergreifenden und transdisziplinären Projekten ihr eigenes Profil schärfen und ihre Persönlichkeit bilden können“, erläuterte Prof. Dr. Gert Bange, Professor für Biochemie und Vizepräsident für Forschung an der Universität Marburg, in seinen Begrüßungsworten.
Transdisziplinarität steht dabei für eine Idee von Studium und Wissenschaft, die sich auf die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Herausforderungen konzentriert und dafür auch Akteurinnen und Akteure außerhalb der akademischen Praxis involviert.
Eine besondere Rolle spielt dabei das an der Universität etablierte Marburg Modul, in dem Studierende eigenständig an einem selbst gewählten Thema arbeiten können – bspw. dem Klimawandel, oder Mobilität. Lehrende, außeruniversitäre Akteure sowie Studierende selbst können dabei als „Projektsponsoren“ die Studierenden bei der inhaltlichen Bearbeitung des Themas, der Netzwerkarbeit sowie dem allgemeinen Projektmanagement unterstützen. Im Zentrum sollen dabei, wie der wissenschaftlicher Leiter Dr. Sebastian Dippelhofer betonte, aktive Personen stehen, „die selber gestalten wollen und jederzeit mit einem reichhaltigen Fundus an didaktischen und technischen Möglichkeiten unterstützt werden“.
Wie eine eigenständige und fächerübergreifende Zusammenarbeit im Marburg Modul aussehen kann, verdeutlichte der Vortrag des studentischen Pilotprojekts „Green Up Uni Marburg“. Studierende verschiedener Fächer erarbeiteten während des Lockdowns über digitale Kanäle Strategien für ein Nachhaltigkeitszertifikat der Universität Marburg: „Im Rückblick sind wir ganz überrascht, wie gut wir im Lockdown über digitale Kanäle kommuniziert haben. Zwar waren wir im Vorfeld alle schon gesellschaftlich irgendwie engagiert. Das Projekt hat aber dazu beigetragen, uns künftig noch mehr für Themen wie den Klimawandel einzusetzen“, erkläre Renata Salinas Iriarte, Bachelorstudentin der Biologie.
Studentinnen des „Green UP Team UMR“: Von links nach rechts: Jacqueline Kittel (Studium der Psychologie), Renata Salinas Iriarte (Studium der Bioliogie), Paula Winter (Studium der Betriebswirtschaftslehre), Sarah Fischer (Studium der Betriebswirtschaftslehre; nicht auf dem Bild)
Der Folgevortrag von Prof. Dr. Tobias Schmohl und Nina Schmulius erörterte, wie die Überwindung disziplinärer Grenzen einer immer komplexer werdenden Welt Rechnung trage. So passe „die traditionelle Vorstellung von Bildung nicht mit der aktuellen Wechselwirkung von gesellschaftlichen Vorkommnissen und Universität bzw. Lehre und Forschung von heute zusammen“ bemerkte Tobias Schmohl, der an der TH Ostwestfalen-Lippe über Bildung unter Bedingungen von Digitalität und Transdisziplinarität forscht. Nina Schmulius, als Gründerin und Hochschuldozentin in verschiedenen Fachdisziplinen aktiv, betonte die Bedeutung von handlungsaktivierender und konkreter Sprache im Rahmen aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen anhand eines Beispiels: „Die Forscherinnen und Forscher des Schweizer Sprachkompass vom Centre for Development and Environment der Universität Bern haben das Wort ‚Klimaerwärmung‘ analysiert und dabei herausgefunden, dass es durch das darin versteckte Wort ‚Wärme‘ Gemütlichkeit erzeugt. Statt ‚Klimaerwärmung‘ könnten wir aber auch von ‚Erderhitzung‘ sprechen – auf das Klima haben wir wenig Einfluss, auf die Erde, unsere Lebensgrundlage, schon. Und wenn diese sich erhitzt, dann ist das alarmierender als wenn es nur ein bisschen kuschlig wärmer wird. Warum nutzen wir nicht die Sprache, um daraus einen Handlungsdruck zu erzeugen?“
Prof. Dr. Tobias Schmohl (TH OWL Lemgo), Nina Schmulius (Berlin), Prof. Dr. Gert Bange (UMR)
In einer abschließenden Diskussion gingen Prof. Dr. Bange und Prof. Dr. Schmohl im Besonderen der Frage nach, in wie weit ein transdiszplinäres Wissenschaftsverständnis mit der Freiheit von Forschung und Lehre zusammenpasse: „Aus historisch guten Gründen hat unser Grundgesetz die Wissenschaftsfreiheit in Artikel 5 festgeschrieben. Wenn im Anschluss auf eine kluge Forschungsfrage die Ergebnisse gemeinwohlorientiert in die Gesellschaft strahlen, dann ist das zweifelsohne gewinnbringend. Aber es darf kein Dogma werden, dass es einen gesellschaftlichen Mehrwert geben muss. Die Freiheit wissenschaftliche Fragen nach den Kriterien guter wissenschaftlicher Praxis zu beantworten, muss unser höchster Anspruch sein und bleiben.“ Tobias Schmohl hingegen geht davon aus, dass Transdisziplinarität eine disruptive Kraft entwickelt, die das klassische Studium an einem Ort zugunsten von mehr Flexibilität, Mobilität und gesellschaftlicher Einbettung nachhaltig verändern wird.
Damit ist aus Sicht der Verantwortlichen des MarSkills-Centers der Startschuss für einen Studienbereich gegeben, der Studierenden durch sein vielfältiges Angebot den Erwerb von Future Skills ermöglicht und sie auf die Welt von Morgen vorbereitet.