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Vom Marburger Studenten
... zum Direktor der Hamburger Kunsthalle

Das Foto zeigt Hubertus Gaßner.
Foto: Ellen Coenders

Was fällt Ihnen spontan zu Marburg ein?

Die himmelhoch ragende Stadtkulisse, vom Schloss bekrönt, das man vom Kunstgebäude in der Biegenstraße so gut sehen kann. Die steilen Gassen, die ich so oft hinauf zum schmucken Marktplatz gegangen bin, den Ausgang nehmend von der altehrwürdigen Elisabethkirche im Tal, die leider etwas zu stark vom Verkehr umbrandet ist, als dass sie atmosphärische Reminiszenzen an ihre Entstehungszeit erwecken könnte.

Wo haben Sie damals gewohnt?

Das erste Jahr in einer Kammer mit Klappsofa in einem Rechtsanwaltsbüro ohne Bad, danach im Haus der Eltern, dass diese zu jener Zeit auf der Wilhelmshöhe bauten, um von Frankfurt nach Marburg zu ziehen.

Warum haben Sie die Fächer Kunstgeschichte, Philosophie und Soziologie gewählt?

Zunächst wollte ich freie Kunst bei Beuys studieren, sah aber nach einem Gespräch mit ihm ein, das aus mir kein guter Künstler werden würde. Er riet mir zur Kunstgeschichte, dem Rat bin ich gefolgt. Statt wie üblich Archäologie und eine Hilfswissenschaft wie Numismatik wählte ich als Nebenfächer Philosophie und Soziologie, um einer sozialgeschichtlichen Geschichte der Kunst näherzukommen.

Was war Ihr damaliger Berufswunsch?

So lange ich denken kann: Kunst oder Kunstgeschichte. So stand es schon in der Zeitung, die über die Frankfurter Abiturienten im Jahr 1968 berichtete.

Wie haben Sie Ihr Studium finanziert?

Durch eine Mischung aus Jobs in den Semesterferien (Brötchen austragen und Arbeit am Bau), Unterstützung durch die Eltern und ein späteres Stipendium für die Dissertation.

Was haben Sie neben dem fachlichen Wissen gelernt?

Die Freude am eigenständigen Denken und Handeln, den Teamgeist und die Zuversicht, dass Veränderungen im positiven Sinne möglich sind, wenn auch in weit bescheidenerem Maße als wir damals, Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre, dachten. Außerdem: Menschenkenntnis, Umgang mit Autoritäten, Gelassenheit, Eigenaktivitäten.

Haben Sie einzelne Professorinnen oder Professoren in besonderer Erinnerung?

Ja, insbesondere die Kunsthistoriker Hermann Usener, Peter Anselm Riedel und Hans-Joachim Kunst, die alle drei im Ernst-von-Hülsen-Haus lehrten, wo das kunsthistorische Seminar beheimatet war, und an den Philosophen Reinhard Brandt. Um ihn zu hören, musste man über die kleine Brücke gehen und kam dabei günstiger Weise gleich an der Mensa vorbei.

Haben Sie sich neben dem Studium engagiert?

Im ersten Semester 1968 habe ich mit 18 Jahren die Fachschaft Kunstgeschichte mitbegründet, die sich vor allem für die Mitbestimmung der Studenten einsetzte. Das war im Kunsthistorischen Seminar kein Problem, weil die genannten Professoren dafür leicht zu gewinnen waren. Vorher gab es ja noch gar keine Form der Mitbestimmung. Der Wunsch, auch einmal etwas über das Bauhaus, zum Beispiel in einer Vorlesung oder in einem Seminar, zu hören, wurde jedoch abgelehnt, denn die Kunstgeschichte hörte um 1900 auf, da das Fach sich ja ausschließlich als Kunst-Geschichte verstand; Kunst-Wissenschaft oder gar Bild-Wissenschaft lagen noch in ferner Zukunft. Geschadet hat das meines Erachtens nicht.

Was haben Sie in Ihrer Freizeit gemacht?

Das Wort Freizeit gibt es für mich nicht. Denn Kunst bedeutet ja Freiheit, weshalb Arbeit und Leben bei mir immer eins
waren.

Zu welchem Thema haben Sie Ihre Examensarbeit verfasst? Besitzen Sie diese noch?

Meine Dissertation handelt von der konstruktivistischen Fotografie des russischen Künstlers Aleksandr Rodchenko, der in den 20er und frühen 30er Jahren zu den Pionieren der Neuen Fotografie gehörte. Die Dissertation ist 1982 im Schirmer und Mosel Verlag erschienen und deshalb natürlich noch zur Hand.

Was ist Ihre schönste Erinnerung an die Studienzeit?

Die kunsthistorischen Exkursionen mit den Professoren, Assistenten und Mitstudenten, unter anderem nach Burgund, in die Toskana, nach Prag. Das war lehrreich und unterhaltsam zugleich und wir lernten die Professoren auch von einer sehr persönlichen Seite kennen, was uns enormen Ansporn für das Studium gab.

Sehen Sie Ihr Studium als notwendige Voraussetzung für Ihren beruflichen Werdegang?

Unbedingt. Ohne ein intensives Studium der Geschichte der bildenden Kunst und Architektur ist auch heute noch keine Lehre oder Museumstätigkeit, keine Autorenschaft und sonstige Expertise in diesem Bereich möglich, will man sich nicht auf die Gegenwartskunst allein beschränken. Dazu gehört auch die Kenntnis möglichst vieler Originale, also Reisen, Museumsbesuche, Künstlerkontakte und nicht nur angelesenes Wissen, ohne das es natürlich auch nicht geht.

Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Kommilitonen?

Bis auf wenige Ausnahmen, nein. Durch die spätere Lehre an der Universität und die Museumstätigkeit sind so viele interessante Menschen nach dem Studium in mein Leben getreten, dass die alten Bekanntschaften darunter gelitten haben.

Was würden Sie als Studienanfänger heute anders machen?

Es mag vermessen klingen, aber ich würde es gerne genauso wieder machen, auch wenn sich das Forschen und Schreiben durch Computer und Internet erheblich verändert hat. Doch das Beste war die Möglichkeit zur fast freien Wahl der Themen, der Erfahrungshunger, die Freude an der sich Semester für Semester erweiternden Kenntnis der unendlichen Vielzahl der Objekte und an der sich vertiefenden Erkenntnis der Zusammenhänge. Noch war genügend Zeit für Vorstöße ins Unbekannte und für Umwege, die sich manchmal als Hauptwege erwiesen. Glückliche Jahre.

 

Hubertus Gaßner

Erste Ausstellungen kuratierte Hubertus Gaßner bereits als Student. Seit diesen Tagen ist er dem Metier treu geblieben – zuletzt als langjähriger Direktor der Hamburger Kunsthalle. Gaßner studierte zunächst von 1968 bis 1980 Kunstgeschichte, Philosophie und Soziologie in Marburg, München, Hamburg und Heidelberg, wo er auch promoviert wurde. 

Von 1981 bis 1991 hatte er eine Assistenzprofessur für Kunstgeschichte in Kassel inne, war Kurator an der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt und leitete von 1989 bis 1992 das documenta Archiv in Kassel. Es folgte eine Station in München, wo er von 1993 an als Hauptkurator am Haus der Kunst tätig war. Im Jahr 2002 wurde Gaßner zum Direktor des Museums Folkwang in Essen ernannt und von 2006 bis 2016 leitete er schließlich die Hamburger Kunsthalle.

Der Kunsthistoriker hat zahlreiche Bücher, Ausstellungskataloge und Artikel zur Kunst des 19. Jahrhunderts, zum Konstruktivismus sowie zum Surrealismus und zur zeitgenössischen Kunst veröffentlicht.

Text: Ellen Thun

Der Fragebogen war im Marburger Unijournal Nr. 62 aus dem Winter 2020/21 abgedruckt. Das komplette Heft finden Sie hier.