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Das Alumna-Portrait mit Birgit Voßkühler

Foto: Landesarbeitsgericht Hamburg

Was fällt Ihnen spontan zu Marburg ein?

Die Lahn, die Lahnberge, der Mohnkuchen in der Uni-Mensa.

Wo haben Sie damals gewohnt?

Zusammen mit vielen Naturwissenschaftlern habe ich in einem Studentenwohnheim in Bauerbach auf der anderen Seite der Lahnberge gewohnt – sehr idyllisch.

Warum haben Sie gerade an der Philipps-Universität studiert?

Die ZVS, die damals für die Vergabe der Studienplätze zuständig war, hat diesen Studienort für mich ausgewählt. Ich habe mich sehr wohl gefühlt und das überschaubare, gemütliche Marburg als optimalen Ort für den Studienbeginn empfunden. Nach vier Semestern allerdings bin ich weitergezogen und habe mein Studium in Hamburg beendet.

Warum haben Sie das Fach Rechtswissenschaften gewählt?

Mir erschien es interessant, mich mit dem Recht als einem System zu beschäftigen, das das Zusammenleben der Menschen ordnet und die gewaltfreie Lösung von Konflikten gewährleistet.

Was war ihr damaliger Berufswunsch?

Als ich mein Studium aufnahm, träumte ich von einer Tätigkeit im Auswärtigen Dienst. Ich wollte die Welt kennenlernen und einen kleinen Teil zu einem friedlichen Umgang der Menschen miteinander beitragen.

Was haben Sie damals in Ihrer Freizeit gemacht?

Ich habe recht viel Sport getrieben – die Unisport-Kurse waren prima – und mich mit Freundinnen und Freunden getroffen.

Wie haben Sie Ihr Studium finanziert?

Meine Eltern zahlten mir Unterhalt, der – ihren eigenen Lebensumständen entsprechend – recht knapp bemessen war. Deshalb habe ich in den Semesterferien als Verkäuferin in einem Bekleidungskaufhaus, als Werkstudentin in der Verwaltung und in der Kommissionierung in einem Lager gearbeitet. Die Erfahrungen, die ich dabei gemacht habe, waren für meinen weiteren Lebensweg sehr wertvoll.

Was haben Sie neben dem fachlichen Wissen gelernt?

In keiner anderen Zeit meines Lebens habe ich so viele dauerhafte Freundschaften geschlossen. In vielen Gesprächen habe ich unterschiedlichste Lebensgeschichten und Auffassungen kennengelernt. Mir ist klargeworden, dass man ganz unterschiedlich auf die Welt schauen kann und seine eigene Haltung immer wieder hinterfragen sollte.

Haben Sie sich neben dem Studium engagiert?

Es gab eine Friedensgruppe und eine Frauengruppe im Fachbereich Rechtswissenschaften, an deren Treffen ich gelegentlich teilgenommen habe. Und natürlich war ich bei den großen Friedensdemonstrationen dabei. Hierbei war ich allerdings keine „Aktivistin“, sondern eher auf der Suche nach dem „richtigen“ Weg.

Was ist Ihre schönste Erinnerung an die Marburger Studienzeit?

In die Marburger Zeit fällt der Beginn meiner Beziehung zu meinem jetzigen Mann. Ich erinnere mich an wunderschöne Spaziergänge in den Lahnbergen, die von anschließenden Besuchen im Café Vetter gekrönt wurden. 

An was erinnern Sie sich ungern?

An die Marburger Stadtautobahn. Ich fand es sehr traurig, dass dieses sinnfreie Stück Straße, das im Nirgendwo begann und im Nirgendwo aufhört, das schöne Lahntal verschandelte.

Haben Sie einzelne Professorinnen und Professoren in besonderer Erinnerung?

Besonders erinnere ich mich an Professor Christoph Gusy, bei dem ich die Vorlesungen zum Staatsorganisationsrecht und zu den Grundrechten gehört habe. Er hatte sich bereits vor seinem zweiten Staatsexamen habilitiert, war nur wenige Jahre älter als wir und begeisterte mich für „seine“ Rechtsgebiete. Insgesamt habe ich sehr angenehme Erinnerungen an die Situation, im Landgrafenhaus den Vorlesungen zu lauschen.

Haben Sie noch Kontakt zu ehemaligen Marburger Kommilitoninnen und Kommilitonen?

Mit einer Mitstudentin, die gleichzeitig mit mir von Marburg nach Hamburg gewechselt ist, bin ich nach wie vor sehr gut befreundet.

Was würden Sie als Studienanfängerin heute anders machen?

Ich würde mich darum bemühen, für mindestens ein Semester an einer ausländischen Universität im Bereich Rechtswissenschaften zu studieren, um eine andere Rechtsordnung aus der Nähe kennenzulernen.

Zu welchem Thema haben Sie Ihre Examensarbeit verfasst?

Mein erstes Staatsexamen habe ich in Hamburg abgelegt. Der Fall, den ich in der schriftlichen Hausarbeit zu bearbeiten hatte, betraf das Verhalten eines Betriebsratsmitglieds während eines Streiks. Die Arbeit habe ich aufbewahrt.

Sind Sie noch hin und wieder in Marburg?

Gerade in diesem Jahr war ich im Mai für einen Kurzbesuch in der Stadt, habe im Café Barfuß zu Abend gegessen und gemeinsam mit meinem Mann in Erinnerungen geschwelgt.

Welchen Wunsch möchten Sie heute der Philipps-Universität mit auf den Weg geben?

Ich wünsche mir, dass die Philipps-Universität in Zeiten, in denen auch im Studium vieles digital abläuft, ein Ort der Begegnung bleibt – mit vielen Plätzen und Gelegenheiten zum Gespräch.

Vita

Seit Februar 2020 ist die Juristin Birgit Voßkühler Präsidentin des Hamburgischen Verfassungsgerichts – als erste Frau in diesem Amt. Ihre ersten Schritte auf dem Gebiet des Rechts machte die gebürtige Niedersächsin in Marburg, wo sie von 1982 bis 1984 Rechtswissenschaften studierte. Nach dem Wechsel an die Universität Hamburg schloss sie dort ihr Studium ab und trat eine Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht an. Im Anschluss an die Große Juristische Staatsprüfung wurde Voßkühler zur Richterin, 2008 auch zur Vizepräsidentin des Hamburger Arbeitsgerichts ernannt. Nach der Ernennung zur Vorsitzenden Richterin am Landesarbeitsgericht wurde sie 2017 zur Vizepräsidentin und im Juni 2021 schließlich zur Präsidentin des Landesarbeitsgerichts berufen. 2016 wählte die Hamburgische Bürgerschaft die Juristin zum Mitglied und 2020 zur Präsidentin des Hamburgischen Verfassungsgerichts.