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Marburger Wissenschaftsgespräche 2021
Von Geschmack, Ästhetik und Kennerschaft
Gast der zweiten Marburger Wissenschaftsgespräche am 10. und 11. Juni 2021 war der Autor und Historiker Prof. Dr. Ulrich Raulff, die wissenschaftliche Leitung lag bei Prof. Dr. Benedikt Stuchtey, Professor für Neuere und Neueste Geschichte der Philipps-Universität Marburg.
Den Abendvortrag von Prof. Raulff haben wir aufgezeichnet, Sie können ihn auf dem YouTube-Kanal der Philipps-Universität anschauen oder in dieser Broschüre nachlesen.
-- Die Pressemitteilung zur Veranstaltung --
Unser Gast
Ulrich Raulff studierte in Marburg, Frankfurt und Paris Geschichte und Philosophie, 1977 promovierte er an der Philipps-Universität. Er forschte in Europa und den USA (insbesondere zur Ideen- und Kulturgeschichte vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart) und war freiberuflich als wissenschaftlicher Publizist und Übersetzer tätig. 1994 ging er als Redakteur im Feuilleton zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung und übernahm drei Jahre später die Leitung des Ressorts. 2001 wechselte er zur Süddeutschen Zeitung. Seit seiner Habilitation 1995 lehrt er außerdem an der Humboldt-Universität Berlin. Von 2004 bis 2018 war er Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach, heute steht er dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa), Deutschlands ältester Einrichtung für auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, als Direktor vor.
Seit seiner Promotion hat Ulrich Raulff Dutzende Bücher verfasst und herausgegeben. Aus Marburger Sicht besonders charmant und lesenswert: Das 2014 erschienene „Wiedersehen mit den Siebzigern. Die wilden Jahre des Lesens“. Für seine Studie "Kreis ohne Meister", laut FAZ (25.9.2009) ein "Meisterwerk der heutigen Kulturwissenschaft", erhielt er 2012 den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch und Essayistik. Aktuell ist er Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin und widmet sich dort dem Thema, das auch im Mittelpunkt dieser Wissenschaftsgespräche steht: „Eine Geschichte des Geschmacks und der Kennerschaft“
Unser Thema
Mit dem Geschmack betritt um die Wende zum 18. Jahrhundert ein neues Subjekt die europäische Bühne. Dem Tugendkanon der höfischen Gesellschaft entsprungen, etabliert es sich zunächst im Bereich der schönen Künste als Schema, das die empirischen Daten der Sinne mit den spezifischen Wissensbeständen der Kennerschaft verknüpft. Während Ästhetik und Kunstwissenschaft dem Begriff des Geschmacks nur ein kurzes Leben von knapp einem Jahrhundert bescheren, erweist er sich in der Welt der Artefakte als erfolgreiches, universal anwendbares Konzept: ein synthetischer Operator von großer gesellschaftlicher Kraft und spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts ein unverzichtbarer Navigator durch den sich sprunghaft entwickelnden Weltmarkt der Konsumgüter.
Dass uns schöne Dinge gefallen und wir unserem Gefallen Ausdruck verleihen, indem wir „Likes“ verteilen, erscheint uns heute, nach drei Jahrhunderten Arbeit am Geschmack, als die selbstverständlichste Sache der Welt. Tatsächlich aber trifft Nietzsches Wort von den schönen Dingen, die oft genug eine schlimme Geschichte haben, auch auf den Geschmack zu. Wer sich auf seine Genealogie einlässt, entdeckt eine vielfach gebrochene Geschichte von Plünderungen, Aneignungen und Eingriffen in die Natur der Menschen. Die Europäer, die die Welt kolonisierten, haben auch einen Teil ihrer selbst kolonisiert.
Geschmack, Ästhetik, Kennerschaft und Schönheitssinn – die Marburger Wissenschaftsgespräche 2021 gehen diesen Begriffen und ihrer Geschichte nach. Dabei lassen wir uns durch unterschiedlichste Disziplinen inspirieren. Was ist Geschmack, was Kennerschaft? Wie werden die Begriffe in unterschiedlichen Disziplinen, Kreisen, Kulturen und Epochen genutzt? Wie haben sie sich im Laufe der Geschichte verändert? Hat Geschmack, hat Ästhetik eine biologische Grundlage, oder ist er bloßes gesellschaftliches Konstrukt? Welche Faktoren beeinflussen, was als geschmackvoll bewertet wird? Ist der Geschmack eine menschliche Spezialität oder können auch Algorithmen und künstliche Intelligenzen Geschmack erlernen? Und wie verhält es sich mit der Geschmacklosigkeit, nach Hans-Georg Gadamer dem wahren Gegenspieler?
Das Programm
Die Marburger Wissenschaftsgespräche umfassen drei verschiedene Veranstaltungen:
Interdisziplinäres Symposium: Geschmack: Was ist das, wer hat das erfunden, und wer braucht das?
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus insgesamt 14 Fachgebieten der Philipps-Universität diskutieren die Begriffe Geschmack, Ästhetik, Kennerschaft und Schönheitssinn, ihre Geschichte, Verwendung und Relevanz
Donnerstag, 10. Juni, 14-17 Uhr, pandemiebedingt leider nicht öffentlich
Öffentlicher Festvortrag von Prof. Dr. Ulrich Raulff:
Mit Luhmann im Dschungelcamp. Über Theorie und Praxis des schlechten Geschmacks
Donnerstag, 10. Juni 2021, 18:30 Uhr, online
Den Vortrag können Sie sich auf dem YouTube-Kanal der Philipps-Universität anschauen oder in dieser Broschüre nachlesen.
Kolloquium für Promovierende und Postdocs der Philipps-Universität: Sehen, Hören und Schreiben: Ästhetische Elemente in den Geisteswissenschaften
Kolleginnen und Kollegen in der Qualifikationsphase stellen Aspekte aus ihrer Forschung vor, die für die Diskussion über Geschmack und Kennerschaft relevant sind. Bewerbungen für die Veranstaltung waren bis 19.04.2021 möglich
Freitag, 11. Juni, 9-12 Uhr, nicht öffentlich