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Religiöse Dinge: was denken Sie?

Foto: Georg Dörr

Im Alltag sind wir alle von unzähligen Dingen umgeben. Die Frage, welche dieser Dinge religiös sind und welche nicht, kann weder leicht noch eindeutig beantwortet werden.

Ist die Hand der Fatima, die als Anhänger an einer Halskette getragen wird, immer ein religiöses Symbol oder kann sie auch „nur“ Schmuck sein? Ist eine Buddha-Figur aus dem Möbelhaus ein religiöses Objekt? Kann eine Shiva-Figur in einem Yoga-Studio „genauso religiös“ sein wie ein Kreuz in einer Kirche? Unterscheiden diese Dinge sich von Kettenanhängern, Kreuzen, Buddha-und Shiva-Darstellungen, die in einem Museum ausgestellt werden? Und wie nehmen wir diese Dinge im Alltag wahr, nachdem wir sie im Museum gesehen haben?

Verschiedene Menschen – innerhalb und außerhalb der Wissenschaft – antworten sicherlich ganz unterschiedlich auf solche Fragen.

In der Rubrik „Religiöse Dinge: Was denken Sie?“ wollen wir künftig die Vielfalt der Ansichten über religiöse Dinge abbilden. Dafür laden wir unterschiedliche Menschen ein, uns zu schreiben, was einen Gegenstand, ihrer Meinung nach, zu einem religiösen Objekt macht, welche Bedeutung religiöse Dinge für sie im Alltag haben und was für eine Rolle Museen dabei spielen, wie Dinge bewertet werden.

Zum einen wollen wir damit darauf hinweisen, dass unsere Gesellschaft eine Vielzahl von Ansichten integrieren muss und dazu anregen, dass Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen miteinander ins Gespräch kommen.

Zum anderen ermöglichen die Beiträge unserer Gastautor/innen den REDIM-Mitarbeiter/innen, ihr theoretisches Verständnis religiöser Dinge mit den Zugängen anderer fachwissenschaftlicher Disziplinen zu vergleichen und zu alltagsnahen Perspektiven in Bezug zu setzen.

  • Können auch Drucke und Bilder religiöse Dinge sein?

    Karl-Heinz, 62, Arbeiter im Schaltschrankbau:
    Öffnet man die Seite religiöse-dinge.de, wird man von einer Prozession begrüßt, die sich auf dem Bildschirm hin und her bewegt. Zum Glück kann man sie anhalten und die einzelnen Mitglieder dieses Zuges betrachten. Für mich sind sie, bis auf vielleicht eine Ausnahme, Unbekannte. Es ist wohl ein Christuskind mit Strahlenkranz dabei? Durch den Instagram-Account REDIM kann ich ein wenig die Arbeit dieses Projektes verfolgen. Das ist für mich spannend. Die abgebildeten Objekte auf der Startseite sind mehr oder weniger kleine Figuren. Sie haben ein Volumen, somit eine Form. Können auch Drucke und Bilder religiöse Dinge sein? Darüber musste ich in Erinnerung an meinen Großvater nachdenken. In dem Handwerkerhaushalt, Vater und Großvater waren Schmiede, in dem ich aufwuchs, fanden sich nur wenige religiöse Dinge: ein Gesangbuch und eine Bibel.

    Als Junge teilte ich mit meinem Großvater ein Zimmer. Unsere Betten standen hintereinander. Über seinem Bett am Kopfende hing an der Wand ein Stahlstich in einem schwarzen Rahmen. Man sah einen verwundeten Soldaten in einem Wald und eine Lichtgestalt mit einer Dornenkrone. – Der auferstandene Christus kommt zu dem Soldaten, der seine Hände gefaltet hat und berührt ihn mit seiner rechten Hand.

    Ich sah dieses Bild jeden Tag. Es hat mich beschäftigt und beeindruckt. Oft fragte ich mich, ob es mit dem Leben meines Großvaters zu tun hat. Ich erinnere es nicht mehr, ob wir beide einmal darüber sprachen, was es mit diesem Bild auf sich hat. Viel später erzählte mir meine Mutter, dass mein Großvater als Soldat des 1. Weltkrieges in einem Lazarett lag und die Ärzte ihn aufgegeben hatten.

    War das Bild über seinem Bett ein Andachtsbild? War es für ihn ein religiöser Gegenstand? War es seine Art, der sehr still aber auch innerlich, so schien es mir, vergnügt war, seine Dankbarkeit für die Errettung aus großer Not zu zeigen?

    Das Bild ist verloren gegangen. Dank der großen elektronischen Suchmaschinen fand ich es wieder. – Als Postkarte, die vermutlich in hoher Auflage gedruckt und verschickt wurde. (Wer hat sie an wen verschickt und zu welchem Anlass?) Bildtitel („Sei getreu bis in den Tod“) und Verwendung der Karte sind für mich befremdlich.

    Der Vers aus der Offenbarung des Johannes, der in seinem zweiten Teil „…,so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ fortfährt, ist in diesem Zusammenhang problematisch, wenn nicht gar missbräuchlich eingesetzt worden. Soldaten des 1. Weltkrieges zogen für „Gott und Vaterland“ in den Krieg, in Wahrheit aber für ein Kaiserreich, dass seine Stellung in Europa festigen und seine militärische Vorherrschaft sichern wollte. Dieser Spruch auf der Karte, vermutlich auch auf dem gerahmten Stahlstich über dem Bett meines Großvaters, sollte suggerieren, dass der Tod auf dem Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges ein herausgehobener war.

    So finde ich heute dieses Bild, was mich als Junge berührt hat, in einem anderen Kontext wieder. Verliert es dadurch seinen Status als „religiöses Ding“, wenn es denn einen hatte (hat)?

  • Objekte verbinden mit der eigenen Religion?

    Sabine, 57, Hausfrau:
    Für mich ist ein Gegenstand ein religiöses Objekt, wenn er Menschen dabei hilft, ihre Religion auszuüben, bzw. ihren Glauben zu leben. Beispielsweise eine Gebetskette, wie es sie im Islam oder Christentum gibt, oder eine Statue oder ein Kreuz, wovor man betend verweilen kann.

    Es sind Gegenstände, die dem Gläubigen aktiv, oder auch bei nicht ständiger Benutzung, z.B. als Dekoration in seinem Zuhause, einen andauernden Kontakt und eine Verbindung mit seiner Religion bzw. Gott ermöglichen können und nicht nur auf den Bereich eines Gotteshauses beschränkt sind.

    Ich empfinde Kultgegenstände, die z.B. in einer Kirche in Gebrauch sind, nicht als „heiliger“ als solche, die privat von gläubigen Menschen benutzt werden. Solche Dinge können (mir) Kraft und Trost geben und sind meiner Meinung nach sogar nach längerer Zeit mit spiritueller „Energie“ aufgeladen. Ich kenne ältere Damen, die seit Jahrzehnten mit demselben Rosenkranz beten, z.T. schon seit ihrer Kindheit oder Jugend im Krieg.

    Eine angemessene und respektvolle Präsentation religiöser Objekte in einem Museum stellt für mich auf jeden Fall eine Aufwertung dar. Man wird sich bewusst, wie wichtig der Menschheit seit Jahrtausenden diese Dinge sind und lernt sehr viel über andere Religionen.

  • Mit Worten aufrütteln: Welche Rolle spielen Religion und religiöse Dinge im Arbeitsalltag einer Redakteurin?

    Nadine, 28, Redakteurin:
    Schon von weitem kann ich den Kirchturm sehen. Manchmal höre ich in meinem Auto auch den Glockenklang. So gut wie jeden Morgen fahre ich auf dem Weg zur Arbeit am evangelisch-reformierten Gotteshaus vorbei. Religion fasziniert mich, deshalb habe ich Religionswissenschaft auch drei Jahre lang studiert. In meinem Beruf als Redakteurin einer Wochenzeitung komme ich mit ihr mal mehr und mal weniger direkt in Kontakt. Ich denke aber, dass wir in irgendeiner Weise jeden Tag mit ihr zu tun haben, unabhängig davon, ob wir selbst religiös sind oder nicht.

    Mein Studium und mein Interesse der Materie gegenüber kommen mir in einigen Situationen meines Arbeitsalltags zu Gute: Wenn wir über die Geschichte und Architektur einer Kirche berichten, wenn ich einen Pastor oder eine Pastorin interviewe, wenn interreligiöse Feste anstehen, wenn wir zu Projekten mit Flüchtlingen eingeladen werden oder bei einer Lesung, in der es um Antisemitismus und der Erfahrung einer Jüdin damit geht. Ich bin in meinem Arbeitsalltag bei weitem noch nicht mit allen Religionen in Kontakt getreten, sehr wohl aber mit einigen der bekannteren: dem Christentum, Judentum, Islam und Hinduismus. Es können noch andere darunter sein, schließlich kann ich den Menschen nur bis vor den Kopf gucken und weiß nicht, an was sie glauben. Sie tragen nicht immer Dinge sichtbar am Körper, anhand derer ihre Religionszugehörigkeit identifiziert werden könnte. Umso wichtiger ist es, jedem offen gegenüber zu sein.

    In meinem Arbeitsalltag bekomme ich auch viel von den Sorgen der Menschen zu spüren. Seien es Pastorenstellen, die gestrichen werden, weil die Kirchengemeinde immer kleiner wird und die damit einhergehenden Versuche, wieder mehr Menschen zu animieren, am Gemeindealltag teilzunehmen. Oder Geschichten von Flüchtlingen, denen ihr Glaube auf ihrem Weg geholfen hat. Eine Lesung in diesem Jahr hat mich sehr bewegt: Die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde im Ort hat zu einer Veranstaltungsreihe zum Antisemitismus eingeladen. Diese endete mit der Lesung einer jüdischen Autorin. In ihrem Buch ging es um ihr Leben mit den Anfeindungen, die sie zur ertragen hat, weil sie einen bestimmten Glauben hat und obwohl sie damit doch niemanden schadet. Sie berichtete von antisemitischen Sätzen, die ihr manche Menschen an den Kopf werfen, von Freunden, die sich von ihr abgewendet haben, als sie erfuhren, dass sie Jüdin ist. Leider hört man immer wieder davon, dass Menschen angefeindet oder angegriffen werden, weil sie religiöse Symbole, wie die Kippa, sichtbar am Körper tragen. In solchen Momenten frage ich mich, was läuft falsch in dieser Welt? Wieso verurteilen andere Menschen das, woran jemand glaubt? Aus diesem Grund halte ich meinen Beruf für wichtig: Ich möchte aufzeigen, wo Missstände bestehen. Ich möchte erklären, dass Religion nur eine weitere Facette ist, die uns zu individuellen Lebewesen macht und keine Grenze sein muss, die wir nicht überqueren wollen. Ich möchte erreichen, dass meine Leser offener gegenüber anderer Religionen, Weltanschauungen und Lebensweisen werden.

  • Wie begegnen mir religiöse Dinge im Alltag?

    Maike, 23, Studentin:
    Als Studentin der Religionswissenschaft in Marburg ist natürlich klar, dass mir viele religiöse Dinge in der Religionskundlichen Sammlung der Uni begegnen. Aber auch sonst kann ich machen, was ich will, religiöse Dinge folgen mir auf Schritt und Tritt im alltäglichen Leben – nicht nur im Museum. Religiöse Dinge sind also nicht vollständig ins Museum verband worden. Das passiert zum Beispiel in meinem privaten Umfeld, wenn ich zu meinen Eltern fahre. Dort klopfen immer alle drei Mal mit ihrer Faust auf Holz, wenn etwas gesagt wird, das lieber nicht geschehen soll. Für den Notfall haben meine Eltern dafür sogar ein Stückchen Holz im Handschuhfach ihres Autos liegen.  Aber macht dieses klopfen das Stück Holz, oder den Tisch, oder was auch immer es dann gerade ist, zu einem religiösen Ding? Oder wird das Stück Holz in dem Moment zum religiösen Ding, in dem meine Faustknöchel darauf landen?

    Für viele ist die Frage, was ein religiöses Ding denn nun ist und wo es einem begegnet eine ganz persönliche Frage. Manche tragen ein Kreuz um den Hals, da scheint die religiöse Konnotation einleuchtend und wird nicht hinterfragt. Anderen sind ihre Autos nach eigener Aussage „heilig“. Aber werden die hochpolierten Vehikel damit zu religiösen Dingen? Bei Fragen wie diesen, die mich an die Thematik „Fußball als Religion“ erinnern, kommt wieder eine der zentralen Fragen der Religionswissenschaft hervor, auf die bis heute keine Antwort gefunden wurde: Was ist eigentlich Religion, was zählt dazu und was nicht? Ob der heißgeliebte Rennwagen, der jeden Samstagvormittag einer rituellen Waschung bei der nächsten Tankstelle unterzogen wird und dessen Abgaswerte lautstark gegen alle Klimaeinwände verteidigt wird, ein religiöses Ding ist – nun, das hängt wohl mal wieder von der Definition von Religion ab. Und was ist eigentlich mit dem Nudelsieb, das die Pastafaris auf ihren Kopf tragen, ist das ein religiöses Objekt?

    Was ich damit sagen will ist, dass vielerlei Dinge für vielerlei Menschen, die wir täglich auf der Straße treffen „heilig“ sein können, auch wenn es einem persönlich nicht immer so erscheinen muss. Ob es nun ein Nudelsieb, oder ein Kopftuch ist, ein wenig mehr Toleranz könnte uns allen nicht schaden.

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