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Nicht von dieser Welt: Zwei sensationelle Erlebnisse zwischen Aura und Aurum
Dr. Mirko Roth, Religionswissenschaftler:
Ein Bericht über den Besuch zweier recht unterschiedlicher Museen in Frankfurt am Main: Die Dauerausstellung des Degussa Museums „GOLDKAMMER“ und die Wechselausstellung im Liebieghaus Skulpturensammlung „Bunte Götter – Golden Edition“
Auf das Degussa Goldmuseum stieß ich durch Zufall. Wenige Tage vor dem Corona Lockdown war ich in meiner ehemaligen Nachbarschaft im Frankfurter Westend unterwegs und musste Folgendes feststellen: Zum einen steht ein neues Haus auf der Brache im Kettenhofweg und zum anderen wurde die ehemalige Kita direkt nebenan „luxussaniert“ (die sich bezaubernder Weise dadurch auszeichnete, dass sie eine geschlossene Röhrenrutsche „außer Haus“ aus dem dritten in den zweiten Stock hatte). Dieses Haus fungiert nun als Eingang zur „GOLDKAMMER“, die sich untertage beider Gebäude befindet. Ich hatte Zeit und nutzte spontan die Gelegenheit zu einem Besuch.
Vom ersten Moment an wurde ich mit Sinnesreizen überflutet: Der Aufzug, der letztlich nur ein Stockwerk nach unten fährt, wurde so präpariert, dass er wie ein Grubenwagen anmutet und auch so rüttelte und schüttelte, während an der hinteren Wand – ganzflächig ein Bildschirm – eine lange und tiefe Grubenfahrt simuliert wird, in dem er eine Untertagelandschaft medialisiert. Aus dem Aufzug raus durch einen Tunnel – er ist als Bergwerkstollen gestaltet und ähnlich düster –, steht man in einer raumgreifenden Beamerpräsentation und schwebt im All, während sich zwei Neutronensterne umkreisen und so geräusch- wie effektvoll kollidieren: Der Ursprung des Goldes – nicht von dieser Welt! Ich bin begeistert und jetzt schon leicht überreizt.
Im Infotainmentstil geht es in diesem Teil der Ausstellung im Stollen weiter mit Flatscreensimulationen sowie Touchscreeninteraktionen – beinahe gänzlich ohne Exponate. Diese kommen dann im zweiten Teil der Ausstellung, in dem Schmuckstücke aus Gold verschiedener Zeitalter und Kulturen atmosphärisch in Szene gesetzt werden: Die folgenden schummrigen Kammern in Anmutung von Stampflehm, sind laut Pressabteilung Grabkammern nachempfunden. Sie geben den einzelnen Exponaten viel Raum, die jeweils auratisch ausgeleuchtet werden. Informationen zu den Objekten werden in Form, Größe und Inhalt auf das Notwendigste reduziert.
„Grabkammer“ – Foto: Hubertus Hamm. Alle Rechte bei Goldkammer Frankfurt GmbH
Der dritte Teil ist durch Licht und Glasspiegelung als lebendige Unterwasserwelt gestaltet: Auf den Spuren von – was ich zusehen bekam: nur männlichen – Schatztauchern nach untergegangenen Schiffen und ihren Goldschätzen. Hier finden sich audiovisuelle Medien, über welche die Abenteurer porträtiert werden, die sich todesmutig dem Rausch der Tiefe und des Goldes ausgesetzt haben.
Im abschließenden Raum wird dann noch einmal so richtig aus dem Vollen geschöpft und inszenatorisch alle Register gezogen: Das Rothschild-Gold. Der quadratische Raum besteht an drei Seiten fast ganzflächig aus LED-Wänden, auf denen ein Infotainmentfilm abgespielt wird: über Gold, seine Schürfgebiete und Quantitäten, seinen Wert und staatliche Einlagen – bei China fliegt ein goldener „chinesischer Drache“ (exotisierend, wie sich das ein nordatlantischer Mensch eben so vorzustellen hat) quer durch den Raum. Aber wo ist das Rothschild-Gold? Passend zu den Themen der Animation erscheinen durch geschickte und gezielte rückwändige Beleuchtungen einzelne Exponate des Rothschild-Schatzes kurz durch die verspiegelte vierte Wand des Raumes hindurch.
Entlassen werde ich in einen recht leb- und lieblosen Museumsshop, in dem sogar antike Goldmünzen zum Verkauf feilgeboten werden. Nur ein Stockwerk die Treppe rauf – Waaaas?!? Doch nicht viele Hundert Meter untertage?!? – finde ich mich auf der Straße wieder und wundere mich über das sensationelle Erlebnis. Eingelullt von multimedialen Reizen über den Mythos Gold steht nur noch eine Botschaft als Metakommunikation der Ausstellung zur Verfügung: Gold ist geil!
Als erste Ausstellung nach dem Corona Lockdown habe ich mir die „Bunte Götter – Golden Edition“-Ausstellung des Liebieghaus Skulpturensammlung ausgesucht. 2008/09 gab es dort bereits eine sehr erfolgreiche und viel beachtete „Bunte Götter“-Ausstellungen, in der über Replikationen die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Polychromieforschung zur Schau gestellt wurden.
Über das gesamte Haus verteilt werden die Replikationen den einzelnen Räumen der nach Epochen geordneten Bereiche zu- und den jeweiligen Skulpturen der Dauerausstellung beigeordnet. So bringt der Kurator Prof. Vinzenz Brinkmann beide Artefaktgattungen miteinander in Kommunikation – ein Konzept, was meiner Erfahrung nach im Liebieghaus oft angewendet wird. Dabei stechen die bunten Replikationen unter den weißmarmorigen Originalen deutlich heraus.
Die Museumsgäste können ihren Besuch beginnen, wie und wo sie wollen und teilweise auch die Abfolge der Epochen selbst bestimmen. Eine aufwendige und ansprechende App zum freien Download unterstützt den Besuch und kann auch sehr gut zur Vor- und Nachbereitung verwendet werden: Eingangs hart links wird zur Einführung ein Film gezeigt, der auch auf der Liebieg-Webseite bzw. auf YouTube verfügbar ist. Etwas weiter geht es dann auf dieser Gebäudeseite in die Mittelalterabteilung wohingegen rechts sich Antike und Klassizismus befinden. Letzterem Bereich habe ich mich vornehmlich gewidmet.
Kostenfreier Audioguide zur Ausstellung “BUNTE GÖTTER – GOLDE EDITION. Die Farben der Antike”. Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert MiguletZ
Im ersten Raum werde ich empfangen von der zentralräumlich stehenden Replik einer Grabstatue des Mädchens (Kore) „Phrasikleia“, während sich die antik ägyptischen Originale entlang der Seitenwände aufgereiht befinden. Hier soll auf den ägyptischen Einfluss auf antik griechisch skulpturalen Arbeitens hingewiesen werden – mit vier großen, menschhohen Infotafeln (dt./eng.). Die App liefert ausführliche Audiobegleitung und weitere Fotos.
Im zweiten Raum finden sich zwei Repliken: eine Grabplatte und ein Kuros, die Statue eines „Jünglings“ – wie die Kore ein gängiges Motiv und verbreiteter Topos im antiken Griechenland. Die Replikation der Grabplatte ist dahingehend besonders interessant, da ihr das Original beigeordnet ist. Hier gehen die Repliken meines Erachtens – trotz ihrer bunten Anziehungskraft – in den vollgestellten Räumen unter.
Daraufhin gelangt man in den dritten Raum, der einen Höhepunkt der Ausstellung darstellt – darstellen soll. Auf der Website des Liebieghauses ist er im Fokus des Imagefilms zur Ausstellung: Durch geschickte Kameraführung wie auch guten Objektiv- und Filtereinsatz wirken die Exponate hochgradig ästhetisiert und auratisch aufgeladen. Als ich in körperlicher Präsenz den physischen Raum betrete, wirkt er auf mich einfach nur voll und wenig erhaben – ja, bloß kitschig bunt. Zudem erscheinen mir die Repliken als künstlerisch-technische Reproduktionen eben genau als solche, wodurch sie einer Aura des Originals entbehren.
„Bogenschütze“ – Foto: Dr. Mirko Roth
Verblüfft über meine innere Abwehr und moderiert durch die guten wissenschaftlichen Begleittexte zur Polychromieforschung wird mir deutlich, dass mein Sinn und Geschmack von Ästhetik und für das Ästhetische (vor allem für die Antike) ganz wesentlich durch die Sinn(en)konstruktionen der Renaissance und der von ihr beeinflussten Kunststile und -epochen geprägt ist: Die Irritationsmomente rütteln an alten Vorstellungen, ja gesellschaftlich konstruierten Täuschungen, und der museumspädagogische Einsatz öffnet mir einen Weg zu einer neuen, aufgeklärteren Sichtweise – eine sehr produktive Ent-Täuschung.
Als nützlicher Vergleichsparameter für diese recht unterschiedlichen Ausstellungen möchte ich an dieser Stelle den Erlebnisbegriff der Museologien Katharina Flügel aus ihrer „Einführung in die Museologie“ (2005) vorstellen:
„Mit dem Erlebnisbegriff wird das ‚Innewerden‘ von Werten bezeichnet, es umschreibt einen bewussten oder geistigen Vollzug. Sinnhaftigkeit wird ‚er-lebt‘, das heißt in besonderer Intensität erfahren. Sie kommt dadurch zustande, dass diese Erfahrung in Bezug auf das Selbst, das eigene Ich des erlebenden Subjekts erfolgt. Unter Erlebnis verstehen wir mithin ein Ereignis, das den Menschen vollkommen ergreift, ‚affiziert‘, bewegt, beeindruckt. Das Erlebnis ist ein Ereignis, das unser Daseinsgefühl zu steigern vermag. […] Diesem Erlebnisbegriff steht der gegenwärtig gebrauchte diametral gegenüber. Er zielt nicht auf das Innere des Menschen ab, sondern auf äußerliches Geschehen. Seine Kennzeichen sind stetige Abwechslung, zum Aktionismus neigende Aktivität, Flüchtigkeit des Eindrucks. Er ist Teil kontingenter Welterfahrung. Da alles zum ‚Erlebnis‘ werden kann, ist es auch gleichgültig, wo das Erlebnis erfolgt, wodurch es ausgelöst wird.“ (108 f)
Für mich sind dies verschiedene Aspekte eines Erlebnisbegriffs und spannen ein Spektrum von einerseits „innerlich-sinnhaften Erlebens als Erfahrungsereignis“, andererseits einem „äußerlich-sinnlichen und flüchtigen Geschehen der Abwechslung“ auf. Hier haben wir also ein Spektrum zwischen Sinn und Sinnlichkeit, das jedem Zeigen und damit jeder Ausstellung innewohnt und ihren medial-kommunikativen Charakter auszeichnet, wie es in Jana Scholzes „Medium Ausstellung“ (2004) deutlich wird. Die zuvor beschriebenen Ausstellungen versinnbildlichen die jeweiligen Enden des Spektrums:
Der letztere Erlebnisaspekt als Event findet sich in der GOLDKAMMER. Hier operiert die Direktorin Dr. Nadja Tomoum ganz wesentlich mit multimedialen Mitteln und Strategien, die auf Sinnlichkeit abzielen. Dadurch wird ein Erleben vorgespielt, das aber äußerlich und flüchtig bleibt. Zudem wird dadurch meines Erachtens eine kritische Reflexion hinsichtlich der Inhalte unterminiert und der Mystifizierung des Goldes (bewusst manipulativ?) Vorschub geleistet.
Für meinen Besuch der „Bunte Götter – Golden Edition“-Ausstellung im Liebieghaus hatte ich mir hingegen etwas mehr Sinnlichkeit gewünscht. Denn für mein Empfinden verfügte die Ausstellung – trotz der Buntheit und des Goldes! – über wenig Strahlkraft. Sie wirkte auf mich – von der kitschigen Anmutung abgesehen – sehr sachlich und didaktisch, wodurch sie sich dementsprechend am anderen Ende des Spektrums positioniert: die sinnhafte Vermittlung von wissenschaftlichen Erkenntnissen der Polychromieforschung. Dem aufklärerischen Impetus, der Entlarvung der Konstruiertheit meines kultur- und epochenbedingten Ästhetikempfindens, wurde alles andere untergeordnet. Und leider werden die Exponate lediglich zur Illustration der Erkenntnisse und nicht als Mittel des eigenen Erkenntnisprozesses genutzt.
Das gerade Geschriebene will nicht in erster Linie Kritik an der Liebieghaus-Ausstellung oder seinem Kurator üben, sondern befragt wiederum mein Ästhetikempfinden bzw. meine zeitbedingte Erwartungshaltung nach Event. Denn die Ausstellung führt idealiter vor, was eine Aufgabe des säkularen Museums ist: Aufklärung durch Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Zudem ließe sich abschließend an die Worte Peter Bräunleins erinnern, die er in der Einleitung zu seinem Sammelband „Religion und Museum“ (2004) schrieb: „Es kann jedoch nicht Aufgabe der Religionswissenschaft sein, darüber nach zu denken [sic!], wie Sinndefizite [religiösen Erlebens] z.B. in musealen Darbietungen kompensiert werden könnten.“ (24)
Doch wie kann ein musealer Mittelweg für sensationelle Erlebnisse aussehen, der äußerlich-multimediales Eventgeschehen mit innerlichen Erkenntnisprozessen zwischen Sinnlichkeit und Sinn vereint – und dennoch keine religiöse Sinndefizitkompensation ist? Dies ist eine Frage, von der ich hoffe, dass sie nicht bloß das REDIM-Team beschäftigen wird, sondern hier als offene Diskussionsanregung wirken will.
Kommentare
Bettina Schmitt sagt:
Danke für diesen reflektierten Bericht, zu dem sich ganz viel sagen ließe. Bei der Beschreibung der Goldkammer fallen mir ja vor allem die Leerstellen auf … also alles, was zwischen dem kosmischen Gold-Schöpfungsmoment und der Schmuckwerdung so passiert. Gewinnung unter ausbeuterischen Bedingungen, einhergehend mit Umweltzerstörung z. B., die Habgier, die Repräsentation – you name it.
Die “Bunten Götter” müssen als Wanderausstellung überall reinpassen – je nachdem kann es dann schon ein bisschen enger werden. Ich glaube ja nicht, dass die antiken Skulpturen so ausgesehen haben. Kritisch könnte man anmerken, dass die Rekonstruktionen auf der Basis ganz geringer Farbspuren auf den Originalen entstanden sind, die man mit dem Mikroskop entdecken konnte, und die dann hochgerechnet wurden. Quasi Malen nach Zahlen. Von Lasuren, Mustern, Schattierungen ist natürlich wenig bis nichts übrig. Die antiken Beschreibungen messen aber die Qualität eines Kunstwerks u. a. daran. ob es mit der Wirklichkeit verwechselt werden kann, ob es atmet, eine Illusion herstellt. Mir scheint, dass beide Ausstellungen, dadurch, dass sie bewusst einen Teil der Geschichte ausblenden bzw. etwas als “so war es” ins Museum stellen, was allenfalls ein vereinfachtes Modell sein kann, den sensiblen Betrachter mit einem etwas unguten Gefühl zurücklassen. Teil der Geschichte ist natürlich auch, dass uns das Fragment oft mehr berührt, als das Ganze. Aber dieses Kapitel schlagen wir vielleicht ein andermal auf?