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Eckpunktepapier für die Einrichtung eines
„Zentrums für interdisziplinäre Religionsforschung (ZIR)“
an der Philipps-Universität Marburg

I. Hintergrund

Mit Blick auf den anstehenden Exzellenzwettbewerb und den damit einhergehenden tief greifenden Wandel der deutschen Hochschullandschaft kommt dem Themenfeld Schwerpunktbildung eine übergeordnete hochschulpolitische Bedeutung zu. Die Fokussierung auf regionale Schwerpunkte ist ein wichtiger Schritt zur Profilschärfung. Abstimmungen in Forschung und Lehre führen zur Schaffung arbeitsteiliger Strukturen in der Lehre und kooperativer Forschungsprojekte. Somit ist die Netzwerkbildung ein zentrales Instrument der Profilbildung und die Vernetzung damit ein hochschulpolitisch bedeutendes Leistungsziel.(1)
Die in Hessen seit einigen Jahren begonnene Zentrenbildung, deren Zielsetzung der Erhalt und die Stärkung jener geisteswissenschaftlichen Fächer ist, die aufgrund ihrer Ausstattung zu klein sind, um eigenständige Einheiten bilden zu können, hat zur Bildung von Schwerpunktzentren geführt. Mit der Einrichtung des Centrums für Nah- und Mittelost-Studien an der Philipps-Universität Marburg wurden beispielsweise umfassende Ressourcen zu den Philologien und Kulturen des nahen und mittleren Ostens bereitgestellt. Zusammen mit dem Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung und den in den Fachbereichen vertretenen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen bietet sich an der Philipps-Universität ein breites Spektrum geistes- und kulturwissenschaftlicher Fächer und Forschungsausrichtungen. Darüber hinaus bieten sich interdisziplinäre, systematische Spezialisierungen an, um regionale und thematische Spezialisierungen zu erweitern und zu ergänzen und die inhaltliche Profilbildung der geisteswissenschaftlichen Fachbereiche der Philipps-Universität voranzutreiben. Aus diesem Grund schlagen wir die Einrichtung eines Zentrums für interdisziplinäre Religionsforschung (ZIR) an der Philipps-Universität Marburg vor, welches fach- und fachbereichsübergreifend die Bedeutung von Religionen für Individuen, soziale Gemeinschaften und Kulturen untersucht und dabei in komparativer Perspektive historische und aktuelle Phänomene berücksichtigt.

In den letzten Jahrzehnten und verstärkt seit Beginn dieses Jahrhunderts wird auch von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen, dass Religion entgegen der Annahme eines fortschreitenden Bedeutungsverlustes auch in der Gegenwart ein wesentliches Element des gesellschaftlichen und politischen Lebens ist. Die „Wiederentdeckung“ von Religion bezog sich zunächst auf den politischen Einfluss von Religionen außerhalb der christlichen Tradition Europas, insbesondere des Islams und der politisch wirksamen Formen des Christentums in den Vereinigten Staaten. Inzwischen wird jedoch vermehrt die politische und kulturelle Bedeutung von Religion und Religionen auch in Europa erkannt. Religiöse Pluralisierung und globaler Kulturaustausch transformieren die Vorstellungen vom Menschen und menschlichen Handeln. Auf der Ebene von Individuen zeigen neue Formen hochgradig privatisierter Spiritualität das Bedürfnis nach individuellen Sinn- und Transzendenzkonstruktionen. Auf der gesellschaftlichen Ebene steht Religion als ein entscheidender Faktor für soziale und kulturelle Identitätsbildung sowie als Brennpunkt ethnischer, nationaler und internationaler Konflikte immer wieder im Zentrum des Interesses.

Diese verstärkte Wahrnehmung von zeitgenössischen Religionen – nicht zuletzt auch des damit oft verbundenen politischen und sozialen Konfliktpotentials – verdeutlicht die Notwendigkeit einer multidisziplinären Religionsforschung, zumal gerade solche Formen von Religion ins Blickfeld geraten, die allein innerhalb traditioneller Fächergrenzen nicht umfassend erforschbar sind, sondern die eines transdisziplinären Zugangs bedürfen. Ein Fokus auf Religionen, der sowohl religionswissenschaftliche als auch historische, philologische, soziologische, ethnologische, theologische, psychologische und philosophische Herangehensweisen verbindet, ermöglicht die Konzeption innovativer Forschungsvorhaben und trägt der Vielfalt und Problematik gegenwärtiger religiöser Kulturen Rechnung.

Die Komplexität und Vielschichtigkeit des Gegenstandes bedingt zwingend eine interdisziplinäre Zugangsweise. Die Religionswissenschaft kann hier eine integrierende Rolle als Moderatorin im Konzert der Fachdisziplinen einnehmen und die Koordinierung eines solchen Zentrums übernehmen.

II. Zielsetzung

Mit der Einrichtung eines Zentrums für interdisziplinäre Religionsforschung sollen Lehr- und Forschungsmöglichkeiten gebündelt und aufeinander abgestimmt werden. Folgende Ziele werden im Einzelnen angestrebt:

Profilbildung der Universität und des Landes durch ein weiteres Kompetenzzentrum.
Entwicklung eines Graduiertenkonzeptes „Religionsforschung“ mit dem Ziel der Einwerbung eines Graduiertenkollegs (DFG).
Entwicklung spezialisierter Studienangebote und Profilbildung bestehender Studiengänge sowie längerfristig auch Entwicklung neuer Studiengänge (insbesondere strukturierte Promotionsstudiengänge).
Bündelung und Koordinierung von Forschungsinteressen zur Einwerbung von Drittmitteln (z.B. kooperative Antragstellung, DFG-Forschergruppe, SFB) und Entwicklung überregionaler sowie internationaler Forschungskooperationen.
 

III. Strukturelle und organisatorische Konzeption

III.a Landesebene:

Ein solches Zentrum fügt sich auf der Landesebene hervorragend in die im Juni 2006 verabschiedeten Zielvereinbarungen der Universität ein, insofern hier auf die Stärkung interdisziplinärer Forschung verwiesen wird.(2)

III. b Universitätsebene:

Zunächst ermöglicht ein solches Zentrum die Bündelung verschiedener Fachinteressen über Fachbereichsgrenzen hinweg, so dass eine große Offenheit, methodisch durch die Interdisziplinarität bedingt, bei zugleich klarer Konzeption und Organisationsstruktur angestrebt wird.(3) Ein solches Konzept wird im Entwurf in einer bereits bestehenden, informellen Arbeitsgruppe (mit Vertretern aus Ethnologie, Indologie/Tibetologie, Religionswissenschaft und Theologie) vorbereitet. Eine gezielte Unterstützung ist nach Abschluss der ersten Planungsphase notwendig.

Für die Einrichtung eines Zentrums für interdisziplinäre Religionsforschung ist es wünschenswert, die in Marburg vorhandenen religionswissenschaftlichen Ressourcen weiter zu bündeln und zu integrieren. Der Fb 05 kooperiert bei der für das Jahr 2010 anstehenden Neubesetzung der Professur für Religionsgeschichte mit dem geplanten Zentrum. Die Kooperation der Professuren Religionsgeschichte (Fb 05 Ev. Theologie) und Religionswissenschaft (Fb 03 Gesellschafswissenschaften und Philosophie) bietet ein ausgezeichnetes Potential für die Entwicklung und Stärkung gemeinsamer Forschungs- und Lehrprofile und stellt die Basis der für ein solches Zentrum notwendigen religionswissenschaftlichen Expertise dar.

1 Aus „Zielvereinbarung zwischen dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und der Philipps-Universität Marburg für den Zeitraum 2006 bis 2010“, 24. Juli 2006, S. 3.

2 Im Rahmen der Zielvereinbarung der Philipps-Universität Marburg vom 24.6.2006 wurde mit Pkt. 3.3. (Entwicklungsziele hinsichtlich des Auf- bzw. Ausbaus profilbildender Schwerpunkte) vereinbart, interdisziplinäre Forschung zu stärken: „Daher bemüht sich die Universität darum, sowohl in den einzelnen Fachbereichen Voraussetzungen für herausragende Forschung und Lehre zu sichern, als auch günstige Bedingungen für interdisziplinäre Zusammenarbeit zu schaffen.“ (Ebd. S. 10)

3 Das geplante „Zentrums für interdisziplinäre Religionsforschung (ZIR)“ könnte in idealer Weise an die Leitthemen der für die Philipps-Universität Marburg formulierten Kompetenzcluster anknüpfen – insbesondere an die im Kompetenzcluster 1 „Kultur- und Umweltdynamik“ entwickelten Ziele:

Durch die Zusammenfassung von thematisch und methodisch disparaten, jedoch gemeinsam auf kulturelle Transformation einer menschgeprägten Umwelt abstellenden Forschungsfeldern lassen sich exemplarisch Einsichten gewinnen, die verallgemeinerungsfähige Komponenten enthalten und insofern in der Zusammenschau ein vertieftes Verständnis von komplexer Kultur- und Umweltdynamik ermöglichen.

Die integrierenden Leitthemen des Kompetenzclusters sind
– Interdependenz von Kultur und Umwelt,
– Traditionen, Normen und Wissen im gesellschaftlichen Wandel.

(Zielvereinbarung Hessen-MR, 24.6.2006)

Marburg, September 2008

Prof. E. Franke (Religionswissenschaft, Fb 03)
Prof. K. Braun (Europäische Ethnologie, Fb 03)
Prof. C. Elsas (Religionsgeschichte Fb 05)
Prof. J. Hanneder (Indologie/Tibetologie, Fb 10)
Prof. S. Murken (Religionspsychologie, Honorarprofessor Fb 03)
Prof. A. Standhartinger (Neues Testament Fb 05)