29.04.2022 Wissenschaftsrat empfiehlt Forschungsbau für Materialwissenschaften

Gebäude für Elektronenmikroskop der neusten Generation entsteht auf dem Campus Lahnberge der Philipps-Universität Marburg

Mann steht an einem Elektronenmikroskop
Foto: Jan Hosan
Elektronenmikroskopie liefert wichtige Erkenntnisse bei der Entwicklung neuer Materialien für Kommunikations- und Energietechnologien.

In den kommenden Jahren entsteht auf dem Campus Lahnberge der Philipps-Universität Marburg (UMR) ein neuer Forschungsbau für Transmissionselektronenmikroskopie (TEM) zur Erforschung neuartiger Materialien. Dafür hat sich jetzt der Wissenschaftsrat ausgesprochen. Die endgültige Entscheidung fällt in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) Anfang Juli 2022. Die Empfehlung des Wissenschaftsrats gilt aber als wegweisendes Zeichen für den Bau. ATEMMA (Advanced Transmission Electron Microscopy, Marburg) soll im Jahr 2026 in Betrieb gehen. Die Gesamtkosten belaufen sich nach derzeitigem Stand auf etwa 10,75 Millionen Euro. Auf das Gebäude entfallen davon etwa 4,75 Millionen Euro, auf das Rastertransmissionselektronenmikroskop etwa 6 Millionen Euro.

„Der Bau von ATEMMA stärkt den Schwerpunkt Materialwissenschaften an der Universität Marburg und fördert die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit der beiden mittelhessischen Universitäten bei der Erforschung von Themen, die für die Zukunft essenziell sind. Ich freue mich sehr, dass Prof. Dr. Kerstin Volz und ihr Team mit ATEMMA erfolgreich waren“, sagt der Marburger Universitätspräsident Prof. Dr. Thomas Nauss.

Die Entwicklung neuartiger Materialien für Kommunikations- und Energietechnologien ist von zentraler Bedeutung für die Gesellschaft. Dabei besteht großes Potenzial und entscheidende Weiterentwicklungen werden möglich, wenn der immense Bedarf nach quantitativem Strukturverständnis der zum Einsatz kommenden Stoffe gedeckt wird. Das lässt sich mit Hilfe eines Transmissionselektronenmikroskops etablieren. „Wir betreiben Grundlagenforschung zur Wechselwirkung von Elektronen und Materialien. Nur, wenn wir die Methodenentwicklung und das Verständnis von Materialien zusammenbringen, können wir die Forschung auch in der Anwendung einsetzen“, sagt Prof. Dr. Kerstin Volz. „In der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie wichtig eine schnelle Datenübertragung in der digitalen Kommunikation und wie groß dabei der Verbesserungsbedarf ist. Auch der Klimawandel erfordert bei der Gewinnung und der Speicherung von Energie radikale technologische Fortschritte für eine nachhaltige Gestaltung unserer Zukunft“, erklärt die Professorin am Fachbereich Physik, die das Wissenschaftliche Zentrum für Materialwissenschaften (WZMW) als Geschäftsführende Direktorin leitet. In zahlreichen Arbeitsgruppen der Universität Marburg und in Kooperationen mit anderen Hochschulen, vor allem mit der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), wird zur Charakterisierung von Materialien und inneren Grenzflächen geforscht. „Die TEM nimmt eine Schlüsselrolle bei der Materialcharakterisierung ein, denn sie ermöglicht es, die Struktur von Materialien bis hin zum atomaren Maßstab zu untersuchen.“

„Ich freue mich über diesen großartigen Erfolg der Philipps-Universität Marburg. Eine Förderempfehlung des Wissenschaftsrates wird nur ausgesprochen, wenn das Forschungsprogramm eine herausragende wissenschaftliche Qualität hat und von überregionaler Bedeutung ist“, so Wissenschaftsministerin Angela Dorn. Sie ergänzte: „Dies wurde für den Forschungsbau ATEMMA der Philipps-Universität Marburg eindeutig bestätigt und stellt ein großes Lob für die exzellente Arbeit der Forscherinnen und Forscher dar. Damit zeigt sich erneut die große Stärke hessischer Hochschulen, die maßgeblich zu grundlegenden Innovationen für die Gesellschaft beitragen.“

Für die Kommunikationstechnologie sollen etwa Materialien für effizientere Laser für neue Wellenlängenbereiche, Stoffe für neuartige, zum Beispiel ultraschnelle oder flexible Transistorkonzepte, aber auch Datenspeicher untersucht werden.

Im Bereich Energietechnologien stehen Konzepte für hocheffiziente Solarzellen und für die Erzeugung von grünem Wasserstoff zur ressourcenschonenden Energieerzeugung ebenso im Mittelpunkt wie die Entwicklung von leistungsfähigen, kostengünstigen und ressourcenverträglichen elektrochemischen Energiespeichern.

Ein besonderer Forschungsfokus liegt auf dem Einfluss innerer Grenzflächen auf die Struktur und Eigenschaften dieser Materialien, um neue Erkenntnisse über optische Anregungen entlang der Grenzflächen oder über diese hinweg zu gewinnen. Hier können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf ihre bereits gewonnenen Erkenntnisse im Sonderforschungsbereich 1083 „Struktur und Dynamik innerer Grenzflächen“ aufbauen, der bereits 2013 an der Universität Marburg gegründet wurde.

Für alle Forschungsthemen ist die methodische Weiterentwicklung der TEM wichtig, denn sie bildet die Voraussetzung für entscheidende Innovationen im Materialbereich und eröffnet die Möglichkeit, weitreichende Informationen möglichst präzise und für unterschiedlichste Materialien zu erlangen.

ATEMMA soll von etwa 20 Arbeitsgruppen der UMR und der JLU genutzt werden. Im gemeinsamen Forschungsschwerpunkt „Material, Molekül, Energie“ am Forschungscampus Mittelhessen (FCMH) forschen die AGs zusammen in mehreren koordinierten Verbünden und zahlreichen Projekten auf internationalem Spitzenniveau. ATEMMA wird Gruppen aus Physik, Chemie, Materialwissenschaften und Informatik zusammenbringen, die zum einen direkt am Materialfortschritt arbeiten und zum anderen TEM als Methode weiter voranbringen und für die Auswertung von Bildern auch KI-gestützte Methoden einsetzen.

Das neue Rastertransmissionselektronenmikroskop wird eine exzellente Orts-, Energie- und Zeitauflösung besitzen, sowie eine hohe Flexibilität bei der Wahl der Beschleunigungsspannung. Kombiniert mit extrem schnellen und empfindlichen Kameras können so neue Methoden entwickelt werden, die eine deutlich besseren Einblick in Materialien als bisher ermöglichen.

Der Forschungsbau ATEMMA soll als Anbau mit direktem Zugang von den bestehenden Laboren und Büroräumen des WZMWs am Campus Lahnberge entstehen. Die Gebäudehülle für das sehr empfindliche und komplexe Mikroskop ist notwendig, um Vibrationen zu minimieren und Magnetfelder abzuschirmen.

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